Bibliothek und Archiv für Nutzung geschlossen
Bewerbungsschluss 05.01.2025
20h/Monat ab 1. April 2025; Unterstützung in Forschung und Lehre
Admin, max. 18h / Woche
zum 01.01.2025
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3, Raum 0330 / Zoom
Kerstin Brückweh (Erkner)
Wohnen und Wohneigentum. Lässt sich aus der Geschichte der Transformation in Ostdeutschland lernen?
20.01.2025 Bewerbungsschluss
03.07.-05.07.2024, Dresden
Buchvorstellung
18:00 Uhr, OEG 3790
"The Making and Unmaking of the Ukrainian Working Class"
mit Dr. Denys Gorbach (Autor) und Prof. Dr. Jeremy Morris (Diskutant)
Wissenswertes
„Du bist mein zartfühlender Schutzengel!“. Geschichte einer Brieffreundschaft
Zum 30. Todestag von Wassyl Stus (1938-1985)Unterschiedlicher konnten die Korrespondenten nicht sein, die zur Zeit des Kalten Krieges zu einer ungewöhnlichen Brieffreundschaft zusammenfanden. Der ukrainische Schriftsteller Wassyl Stus leistete in einer Goldmine unweit von Magadan Zwangsarbeit, als ihn zum ersten Mal Briefe einer ihm unbekannten Frau aus Deutschland erreichten. Diese boten mit liebevollen Worten Trost, ehe er 1985 in Haft ums Leben kam. Die Absenderin Christa Bremer übergab seine Antwortbriefe vor einigen Jahren dem Archiv der Forschungsstelle Osteuropa. Unsere Archivalien des Monats – Foto, Brief und Empfangsbestätigung – erinnern an das tragische Schicksal des Schriftstellers.
Foto: Fabian Winkler Fotografie. Quelle: Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, Bremen, FSO 01-133 Bremer
Wassyl Stus, der von Heinrich Böll 1985 für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen wurde, stammte aus einfachen Verhältnissen. Als junger Übersetzer und Redakteur hatte er große Hoffnung in die Liberalisierungspolitik Chruschtschows gesetzt und setzte sich nachdrücklich für die Anerkennung und Verbreitung der ukrainischen Kultur ein. Er liebte nicht nur die ukrainische Literatur, sondern übertrug auch Goethe, Rilke oder García Lorca in die ukrainische Sprache. Als 1965 ukrainische Intellektuelle verhaftet und angeklagt wurden, protestierte er gegen das Vorgehen der Staatsmacht. Daraufhin wurde er von seiner Arbeitsstelle entlassen und mit einem Publikationsverbot belegt. Eigene Gedichte konnte er nur im illegalen Selbstverlag veröffentlichen. 1972 wurde er zu fünf Jahren Lagerhaft und zwei Jahren Verbannung verurteilt.
In den 1970er Jahren verstärkten internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International ihr Engagement für sowjetische Polithäftlinge. Zu ihren Unterstützern im Westen zählten auch engagierte Bürgerinnen und Bürger wie die Aktivistin Christa Bremer, die unermüdlich aufmunternde Briefe in sowjetische Strafvollzugseinrichtungen schrieben.
Mit ihren Briefen und ihrer Beharrlichkeit versuchte Christa Bremer, den Eisernen Vorhang zu bezwingen. Ihre Sendungen enthielten Worte menschlicher Wärme, deutsche Literatur und zuweilen auch einen Kunstband. Stus widmete ihr aus Dankbarkeit Gedichte in „hellem Ton“, wie er ihr schrieb, um sie nicht zu bedrücken. Auch legte er seinen Briefen Fotografien bei: Im Hintergrund seines Porträts ragen die Berge Nordostsibiriens in die Höhe. „Ist Worpswede weit von Dir?“, fragte er im gleichen Atemzug seine Brieffreundin, die ihm half, in eine Traumwelt zu flüchten. Sie hatte ihm von der berühmten Künstlerkolonie im Umland Bremens erzählt. Obwohl es streng verboten war, persönliche Anmerkungen auf die rosa Empfangsbestätigungen zu notieren, gelang es Stus, das angebliche Ende seiner Haftstrafe zu übermitteln. „Danke sehr! Mein Finis – 11.8.“ setzte er neben seine Unterschrift und ermöglichte seiner Korrespondentin, die deutsche Öffentlichkeit über die bevorstehende Entlassung zu informieren.
Foto: Fabian Winkler Fotografie. Quelle: Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, Bremen, FSO 01-133 Bremer
Nachdem Stus im September 1979 nach Kiew zurückgekehrt war, schloss er sich der ukrainischen Helsinki-Gruppe an. Bereits im Mai 1980 wurde er erneut verhaftet und im Oktober zu zehn Jahren Lagerhaft und anschließenden fünf Jahren Verbannung verurteilt. Neben „antisowjetischer Agitation und Propaganda“ warf man ihm unter anderen seine Briefkontakte mit dem Ausland vor. Stus wurde als sogenannter Wiederholungstäter in der Nähe von Perm in einer Baracke für besonderes Haftregime interniert. Er musste seinen Alltag nun in engen Zellen verbringen. Der Kontakt zu Christa Bremer war abgebrochen, der Ton seiner Gedichte hatte sich angesichts seiner Lage schon seit längerem verdunkelt. Es schien, als hätte er in der Färbung seiner Gedichte sein Schicksal vorweggenommen:
Werde zur herabstürzenden Welle, wenn das Herz dir zum Halse steigt,
wenn das Wasser müde vom Fallen im Strudel kreist.
Dieser Abgrund des letztens Endes,
dieses Bruchstück zusammengefügter Höhen und Tiefen,
diese zweihöckrige Absicht des Gebärens, die Sehnsucht, die nur einen Flügel hat, dies alles war schon lange vor dir bestimmt.
Der Weg des Vorwärtsstrebens ist abgeschnitten.
Es ist unmöglich, hinter die Ferne und jenseits unserer selbst zu gelangen.
Im August 1985 trat Wassyl Stus in Hungerstreik. Von der Lageradministration war ihm ein Verstoß gegen die Kleiderordnung vorgeworfen worden, gegen den er mit dem Einsatz seiner ohnehin schwer angeschlagenen Gesundheit protestierte. In der Nacht zum 4. September 1985 erlosch im Karzer in „Perm-36“, wie das Straflager informell genannt wurde, das Leben des Dichters Wassyl Stus. Von offizieller Seite wurde sein Tod ignoriert, die Todesursache gibt bis heute Rätsel auf.
Unmittelbar nach seinem Tod wurden seine sterblichen Überreste am Lagerfriedhof verscharrt. Auf Initiative ehemaliger Zellengenossen und Mitstreiter wurden sie im November 1989 in die ukrainische Sowjetrepublik überführt. Der Schriftsteller wurde mit zwei weiteren im Lager verstorbenen ukrainischen Gefangenen feierlich auf dem Baikowe-Friedhof in Kiew bestattet. Zehntausende erwiesen ihnen die letzte Ehre. In der unabhängigen Ukraine wurde Wassyl Stus zu einer Nationalikone stilisiert. Seine ehemalige Brieffreundin Christa Bremer ist heute 86 Jahre alt und lebt in Bremen. Für ihre unzähligen Unterstützungsbriefe und Paketsendungen wurde ihr die ukrainische Ehrenstaatsbürgerschaft angetragen. Viele der ehemaligen Dissidenten erinnern sich auch heute noch an ihre „Christynka“.
Lesetipps:
Anna-Halja Horbatsch (Hg.): Ein Dichter im Widerstand. Aus dem Tagebuch des Wassyl Stus, Hamburg 1984.
Natalia Burianyk: Incarceration and death. The poetry of Vasyl’ Stus, Edmonton/Alberta 1997.
Dmytro Stus (Hg.): Vybrani tvory (Ausgewählte Werke), Kyiv 2012.
Manuela Putz
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