Film und Gespräch: Heller Weg
19:00 Uhr, Kulturwerkstatt Westend
Mit Regisseurin Iryna Riabenka, moderiert von Oksana Chorna
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3, Raum 0330 / Zoom
Natalia Fedorenko (Bremen)
Coming of Age in the Urals in the Early 1960s: Ideals and Perspektives of the Middle Class. The Story of Anna Tarshis
Wissenswertes
Fritz F. Pleitgen
(21.03.1938 in Duisburg – 15.09.2022 in Köln)
© Maria Klassen
Fritz Pleitgen war ein Ruhrpott-Kind, das bereits im Vorschulalter den zweiten Weltkrieg mit seinen Entbehrungen, der Flucht und in Ruinen erlebte. Diese Erfahrungen haben ihn für sein ganzes Leben tief geprägt. Als Teenager machte er seine ersten journalistischen Schritte als freier lokaler Sportberichterstatter und mit 21 begann er ein zweijähriges Volontariat in der Redaktion der „Freien Presse Bielefeld“. Daraufhin bewarb er sich beim Westdeutschen Rundfunk (WDR) in Köln, kam aber nicht in die Sport-Abteilung, sondern in die Redaktion der Tagesschau. Das hatte zur Folge, dass sich der junge, sozialdemokratisch gesinnte Fritz Pleitgen tagtäglich mit den politischen Ereignissen aus der ganzen Welt befasste und sich schnell als Auslandskorrespondent qualifizierte. Seine Reportagen kamen aus Brüssel und Paris, von Kriegsschauplätzen in Zypern und Israel.
Von Willy Brandts Ostpolitik überzeugt, erklärte sich Pleitgen 1970 bereit, als ARD-Berichterstatter nach Osteuropa zu gehen. Dass es gleich Moskau sein würde, war für ihn überraschend, aber keineswegs abschreckend. 1971 durfte er exklusiv Brandt und Breschnew beim Badeurlaub auf der Krim begleiten. Bis 1977 blieb er in der Sowjetunion, bewältigte mehrmals die Strecke Köln-Moskau mit seinem eigenen Pkw und nutzte diese tausende Kilometer langen Strecken, um mit wachem Blick auch von den anderen Regionen und provinziellen Gegenden des Riesenimperiums ein Bild zu bekommen.
Es hat Jahre gedauert, bis es Fritz Pleitgen gelang, seinen Arbeitgeber WDR auf der finanziellen Ebene und die zuständige sowjetische Behörde auf der inhaltlichen Ebene zu überzeugen, ein richtiges Fernsehstudio in Moskau einrichten zu dürfen. Geholfen dabei hat ihm ein glücklicher Zufall. Als im Winter 1971 der damalige ZK-Generalsekretär Leonid Breschnew mit einer Delegation auf dem Moskauer Flughafen an den Journalisten vorbeiging, löste sich Pleitgen – völlig unerwartet – von dem Pulk, ging direkt auf Breschnew zu, hielt ihm das Mikrophon hin und stellte eine Frage. Ein anderer Fotoreporter hielt die Szene fest und am nächsten Tag wurde dieses Foto in allen sowjetischen Tageszeitungen in millionenfacher Auflage veröffentlicht. Diesen Bonus wusste Pleitgen zu nutzen. Als seine Korrespondentenzeit in Moskau zu Ende ging, überließ er seinem Nachfolger Klaus Bednarz ein technisch modern eingerichtetes Fernsehstudio mit einem festen westdeutschen Kameramann, einem Toningenieur und einer Cutterin.
In den sieben Moskauer Jahren lieferte Pleitgen nicht nur offizielle Berichterstattung zu politischen und wirtschaftlichen Ereignissen. Er knüpfte gute Kontakte und echte Freundschaften mit Künstlern und Schriftstellern, mit Dissidenten und politisch Verfolgten. Als erster deutscher Fernsehjournalist berichtete er über die Zerstörung der Bilderausstellung der Nonkonformisten, die sog. „Bulldozer-Ausstellung“ 1975 und über die Beerdigung des vom KGB ermordeten Literaturwissenschaftlers Konstantin Bogatyrjow 1976. Ein Interview mit dem früh gestorbenen Schauspieler und Liedermacher Wladimir Wyssozkij, eine Rarität bis heute, drehte Pleitgen halblegal auf einer Datsche in einem Vorort von Moskau. Eine besonders enge Freundschaft verband ihn mit dem Bürgerrechtler, Germanisten und Schriftsteller Lew Kopelew.
Zurück in Köln wartete auf Fritz Pleitgen im wahrsten Sinne eine atemberaubende Karriere: von 1977 bis 1982 in Ost-Berlin, mit den üblichen intensiven Kontakten zu vielen DDR-Dissidenten zum großen Ärger der Stasi; von 1982 bis 1987 in den USA; von 1988 bis 1993 als Chefredakteur des Fernsehprogramms und 1994 als Hörfunkdirektor in Köln, von 1995 bis 2006 als Intendant des WDR Köln. In diesen beruflich extrem intensiven Jahren schaffte er Dutzende Dokumentarfilme zu drehen, unzählige Presse-Klubs und Brennpunkt-Sendungen zu moderieren – besonders unvergesslich bleibt die Sendung mit dem Kollegen Jürgen Engert an dem besagten 9. November 1989 an der Berliner Mauer, die gerade geöffnet wurde.
Als 1997 sein inzwischen im Kölner Exil lebender Freund Lew Kopelew starb, war es wieder einmal Fritz Pleitgen, dem es gelang, aus dem Kopelewʼschen Freundeskreis einen Verein auf solider finanzieller Basis zu gründen. Das Lew-Kopelew-Forum e.V., dessen Vorsitzender Pleitgen viele Jahre war, existiert und agiert unter der Obhut der Kölner Kreissparkasse bis heute.
Mit 72 Jahren hätte Pleitgen endlich in den verdienten Ruhestand gehen können, stattdessen übernahm er die Geschäftsführung von „Ruhr 2010“, die für die Durchführung aller Veranstaltungen der Europäischen Kulturhauptstadt im Jahre 2010 in Essen und im Ruhrgebiet zuständig war. In den Jahren 2011 bis 2021 übernahm Pleitgen das Ehrenamt des Präsidenten der Stiftung Deutsche Krebshilfe. Viele weitere Ehrenämter übte er aus, bis ihn eine Krebserkrankung aus dem Turboleben herausriss.
Doch typisch Pleitgen, trotz seiner Erkrankung schaffte er noch, sein siebtes Buch, „Eine unmögliche Geschichte. Als Politik und Bürger Berge versetzten“(Herder Verlag 2021) – die Wendezeit und die deutsche Wiedervereinigung aus seiner Erinnerung herauszubringen.
Fritz Pleitgen war ein wissbegieriger, einfühlsamer Beobachter und Vermittler, ein hochprofessioneller Journalist mit maximal ethisch moralischem Anspruch, ein resoluter Streiter für Gerechtigkeit, ein Netzwerker und Macher, der auf der Höhe all seiner machtvollen Ämter zu keiner Zeit seine Bodenständigkeit und Menschlichkeit einbüßte, ein Mann mit unerschöpflich gesundem Humor und einem großen Herz am rechten Fleck.
Mit tiefer Dankbarkeit gedenken wir seiner herausragenden Persönlichkeit.
Im Laufe der letzten fünf Jahre ließ Pleitgen regelmäßig diverse Russland und die DDR betreffenden Materialien und Dokumente dem FSO-Archiv zukommen, die einen eigenen Bestand bilden.
MK
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