Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3, Raum 0330 / Zoom
Maike Lehmann (Bremen)
Kul‘turnost‘ and Non/Belonging in the Late Soviet Union
(65% der vollen Wochenarbeitszeit, Entgeltgruppe 13 TV-L)
ab dem 01. Januar 2025 befristet für 3 Jahre. Bewerbungsfrist: 31.10.2024
Diskussion: Was ist „Osteuropa“? Geschichte und Gegenwart eines widersprüchlichen Konzepts
19 Uhr, Bibliothek der Weserburg Museum für moderne Kunst
Anastasia Tikhomirova, Hans-Christian Petersen, Artur Weigandt, Klaas Anders
Ukrainische Schriftsteller*innen in Zeiten des Krieges
18:00 Uhr, Europapunkt Bremen
Oxana Matiychuk, Susanne Schattenberg
Wissenswertes
Die Ermordung Jerzy Popiełuszkos im Oktober 1984
Quelle: Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, Bremen, FSO 2-005-Xp 1087
Am 30. Oktober 1984 wurde im Weichsel-Stausee bei Włocławek die Leiche des regimekritischen Priesters Jerzy Popiełuszko gefunden. Er war mehr als eine Woche zuvor von Offizieren des polnischen Staatssicherheitsdienstes ermordet worden. Der grausige Fund löste starke Reaktionen in der Bevölkerung aus: Erstmals seit der Verhängung des Kriegsrechts im Dezember 1981 brachte die Beerdigung in der St.-Stanisław-Kostka-Gemeinde in Warschau wieder Hunderttausende auf die Straße. Popiełuszko hatte dort zu Beginn der 1980er Jahre beigetragen, Oppositionelle im kirchlichen Raum zu versammeln, und in seinen Predigten scharfe Kritik an der Verhängung des Kriegsrechts und dem Verbot der Gewerkschaftsbewegung Solidarność geübt.
Die Reaktionen auf die Ermordung des Priesters zeigten sich aber auch im Kleinen, wie in diesem Block von Untergrundbriefmarken, dessen Herausgeber sich als „Unabhängige Post Pommerns“ (Niezależna Poczta Pomorza) bezeichnen. Der Aufbau ist durch die Verbindung der Briefmarken mit einem längeren Text ungewöhnlich. Die Briefmarken sind auf der linken Seite des Blocks abgedruckt. Sie zeigen im oberen Teil neben dem Porträt Popiełuszkos typische Symbole der Oppositionsbewegung, etwa das Ineinander von Kreuz und Victory-Zeichen, das Religiöses und Politisches miteinander verknüpft. Die dritte, untere Marke verzeichnet eine Liste von Namen, an deren Ende der des Priesters Popiełuszko steht. Sie erwähnt aber auch „die stummen Reihen der Namenlosen“. Was es mit dieser Liste auf sich hat, verrät der Text auf der rechten Seite: Sie stellt Oppositionelle, die in den 1970er und 80er Jahren staatlicher Repression zum Opfer fielen, in einen Zusammenhang mit Führern des polnischen Untergrundstaates während der deutschen Besatzung, die in den Nachkriegsjahren zugleich Protagonisten und erste Opfer des antikommunistischen Widerstands in Polen waren.
Die Ermordung Popiełuszkos wird somit der Ausgangspunkt, um eine weit zurück reichende Geschichte politischer Repression im Kommunismus und ihrer Opfer zu erzählen und die Gegenwart in ein historisches Licht zu rücken. Briefmarken und Text verhalten sich dabei zueinander wie Bild und Legende. Die komplexen visuellen Zeichen erhalten einen schriftlichen Deutungsrahmen, der sie lesbar und verständlich macht. Der Text dient aber nicht nur der Erklärung und dem Gedenken an bisherige Opfer des antikommunistischen Widerstands. Er appelliert auch, diese Opfer dürften nicht umsonst gewesen sein. Nur mit aktivem Protest und dem Ende des Schweigens könnten künftig solche Tragödien verhindert werden.
Das Archivale gehört zu einer umfangreichen Sammlung von illegalen Briefmarken der unabhängigen Post im Polen der 1980er Jahre im Archiv der Forschungsstelle Osteuropa. Mit solchen Marken konnte kein Brief frankiert und verschickt werden. Sie dienten vielmehr innerhalb der Opposition zur Verständigung über gemeinsame Werte und Ziele und untergruben symbolisch den Hoheitsanspruch und die Legitimität des kommunistischen Regimes. Zudem kam der Erlös aus ihrem Verkauf der Finanzierung weiterer oppositioneller Aktivitäten zu Gute. Der Briefmarkenblock liefert aber nicht nur Einblicke in die vielfältigen Formen des Protests und Widerstands. Er ist auch ein anschauliches Beispiel für das Nachleben des Priesters Popiełuszko und für die Wirkung, die seine Ermordung zeigte. Sie ließ ihn für viele Menschen in Polen zum Patron der Verfolgten und Widerständigen werden und hält ihn in der Erinnerung auch dreißig Jahre danach lebendig.
Recherche und Präsentation: Victoria Beltchikov, Viktoria Beseda, Dörte Kühn, Isabel Lüders, Juliana Mende, Alicja Wciórka und Fabio Weber im Rahmen der Septemberakademie Integrierte Europastudien und Geschichte, veranstaltet von Marcus Schönewald und Anna Makowska, Universität Bremen, 15.-19. September 2014.
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