Bibliothek und Archiv für Nutzung geschlossen
Bewerbungsschluss 05.01.2025
20h/Monat ab 1. April 2025; Unterstützung in Forschung und Lehre
Admin, max. 18h / Woche
zum 01.01.2025
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3, Raum 0330 / Zoom
Kerstin Brückweh (Erkner)
Wohnen und Wohneigentum. Lässt sich aus der Geschichte der Transformation in Ostdeutschland lernen?
20.01.2025 Bewerbungsschluss
03.07.-05.07.2024, Dresden
Buchvorstellung
18:00 Uhr, OEG 3790
"The Making and Unmaking of the Ukrainian Working Class"
mit Dr. Denys Gorbach (Autor) und Prof. Dr. Jeremy Morris (Diskutant)
Wissenswertes
Zur Verbannung Andrej Sacharows vor 35 Jahren (22. Januar 1980)
Andrej Sacharow, Klaus Bednarz, Lew Kopelew, ca. 1979
Quelle: Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, Bremen, FSO 01-003 Kopelew
„Der 22. Januar 1980 war ein Dienstag, der Tag, an dem sich das Moskauer Seminar der Theorie-Sektion am Institut für Physik versammelte. Ich bestellte wie immer einen Wagen aus der Garage der Akademie und verließ um 13:30 das Haus. Vor dem Seminar wollte ich noch in der Versorgungsabteilung der Akademie vorbeischauen, um dort Lebensmittel zu erhalten (darunter auch saure Sahne, für die ich ein Glas dabei hatte). Aber wir kamen nur bis zur Rothügel-Brücke. Auf der Brücke überholte uns plötzlich ein Streifenwagen.“ Andrej Sacharow (1921-1989) wurde zur Generalstaatsanwaltschaft geleitet, wo man ihm eröffnete, daß er in die geschlossene Stadt Gorki (heute wieder Nischni Nowgorod) verbannt sei, um sämtliche Kontakte zu Ausländern zu unterbinden.
Dies war der vorläufige Endpunkt einer Auseinandersetzung des international anerkannten Physikers, des „Vaters der sowjetischen Wasserstoffbombe“ mit den Vertretern des politischen Systems. Für seinen Durchbruch bei der Entwicklung der H-Bombe hatte Sacharow 1953, 1954 und 1956 den Stalin- bzw. Leninpreis erhalten, die ihm nun ebenfalls aberkannt wurden.
Wie anderen prominenten Physikern im Westen waren auch Sacharow angesichts der Vernichtungskraft der von ihm geschaffenen Waffen erhebliche Zweifel gekommen, ob die Politiker ausreichend verantwortungsvoll mit ihnen umgingen. Doch während Nikita Chruschtschow (1953-1964) angesichts der „Einmischungen“ Sacharows nur tobte, begann der KGB unter Leonid Breschnew (1964-1982) Sacharows Tätigkeit genau zu beobachten. Dieser setzte sich nicht nur für ein Atomtest-Moratorium ein, sondern beteiligte sich seit 1966 auch zunehmend an Demonstrationen für die Einhaltung der Verfassung und an Petitionen zugunsten politisch Verfolgter. Sein Manifest „Gedanken über den Fortschritt, die friedliche Koexistenz und die geistige Freiheit“, in dem er eine Überwindung der Systemunterschiede und einen vollkommen freien Informationsfluß forderte, machte ihn im Sommer 1968 im Westen berühmt und für die sowjetische Führung zu einer Zeitbombe.
Während sich Sacharow immer stärker als Mahner für Frieden und Freiheit exponierte und dafür 1975 mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde, versuchte das Politbüro durch Mahnen und Drohen den prominenten Physiker zur Umkehr zu bewegen. Erst als Sacharow nach dem Einmarsch in Afghanistan im Dezember 1979 den Westen zum Boykott der Olympiade in Moskau aufforderte, willigte Breschnew in die Verbannung Sacharows ein, wohlwissend, damit weiter in der Welt an Prestige zu verlieren.
Quelle: Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, Bremen, FSO 01-003 Kopelev
Die Archivale ist ein Unterstützerbrief an den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kurt Waldheim, verfaßt von sieben prominenten Menschenrechtsaktivisten, allen voran Lew Kopelew (1912-1997), der ein Jahr später selbst wegen kritischer Meinungsäußerungen wie dieser in die Bundesrepublik Deutschland verbannt wurde. Sie forderten die Regierungen der UN auf, die Verbannung Sacharows auf die Tagesordnung zu setzen. Sie verwiesen darauf, daß das Nobelkomitee Sacharow als „Gewissen der Menschheit“ ausgezeichnet habe, wofür er nun verbannt worden sei. Der Unterstützer-Brief ist ein typisches Samizdat-Dokument, abgetippt in mehreren Durchschlägen, die sowohl in Menschenrechtskreisen als auch an westliche Korrespondenten verteilt wurden. Die Stenotypistin dieses Briefs war die Ethnographin Maja Berzina (1910-2002), deren Eltern während des Großen Terrors 1937 ermordet wurden und die sich in den 1960er Jahren den Menschenrechtskreisen anschloß. Ihre Sammlung von Samizdat-Petitionen befindet sich heute ebenso im Archiv der FSO (01-129) wie der Bestand Kopelew (01-3).
Das Foto zeigt Sacharow bei einem Interview mit dem ARD-Korrespondenten Klaus Bednarz Ende der 1970er Jahre, das Kopelew vermittelt hatte. Das Politbüro fürchtete nichts mehr, als solche Pressekonferenzen, die Sacharow in seiner Privatwohnung gab und damit das Meinungsmonopol der Partei untergrub. Die Verbannung sollte diesen Informationsfluß stoppen. Sacharows Frau Elena Bonner (1923-2011), die zunächst den Kontakt zu Westjournalisten übernahm, wurde 1984 ebenfalls nach Gorki verbannt, bis 1986 Michail Gorbatschow höchstpersönlich Sacharow und Bonner aus dem Exil zurückrief.
Die Verbannung Sacharows zeigt einerseits, welch große Gefahr das Politbüro in Stimmen sah, die unerschrocken mit Hilfe von Samizdat und westlichen Journalisten ihr eigenes Bild von der Sowjetunion verbreiteten, und andererseits die große Furcht der sowjetischen Führung, durch Repressionen das eigene Image in der Welt zu beschädigen.
Lesetips:
Jelena Bonner: In Einsamkeit vereint. München 1986.
Andrej Sacharow: Mein Leben. München 1991.
Susanne Schattenberg: Les frontières du dicible. Du dialogue au silence: Les relations d’Andrej Saharov avec Hruščev et Brežnev, in: Cahiers du Monde russe 54 (2013) 3-4, S. 441-466.
Susanne Schattenberg
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