Bibliothek und Archiv für Nutzung geschlossen
Bewerbungsschluss 05.01.2025
20h/Monat ab 1. April 2025; Unterstützung in Forschung und Lehre
Admin, max. 18h / Woche
zum 01.01.2025
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3, Raum 0330 / Zoom
Kerstin Brückweh (Erkner)
Wohnen und Wohneigentum. Lässt sich aus der Geschichte der Transformation in Ostdeutschland lernen?
20.01.2025 Bewerbungsschluss
03.07.-05.07.2024, Dresden
Buchvorstellung
18:00 Uhr, OEG 3790
"The Making and Unmaking of the Ukrainian Working Class"
mit Dr. Denys Gorbach (Autor) und Prof. Dr. Jeremy Morris (Diskutant)
Wissenswertes
der Reformer Michail Gorbatschow und seine Perestrojka - als davonfliegende Seifenblasen
Zur Wahl Michail Gorbatschows zum Generalsekretär des ZK der KPdSU vor 30 Jahren
Als Michail Gorbatschow am 11. März 1985 zum Generalsekretär des ZK der KPdSU gewählt wurde, hatte er bereits einige Monate zuvor, am 10. Dezember 1984, als Mitglied des Politbüros auf einer wissenschaftlichen Unionskonferenz in groben Umrissen eine Umgestaltung der sowjetischen Gesellschaft skizziert. Was zu diesem Zeitpunkt nur von wenigen ausländischen Beobachtern und sachkundigen Sowjetbürgern aufmerksam registriert wurde, erregte nach dem Amtsantritt Gorbatschows weltweite Aufmerksamkeit. Die Perestrojka als programmatischer Umbau von Staat und Gesellschaft wurde in den folgenden Jahren zu einem Inbegriff eines revolutionären Wandels, der schließlich auch zum Fall der Berliner Mauer 1989, dem Ende des Kalten Krieges und der Auflösung der Sowjetunion 1991 führte. Doch weder hatte Gorbatschow den Ruin der UdSSR beabsichtigt, noch wurden seine Reformen überall gleichermaßen positiv aufgenommen: Während die Perestrojka in der UdSSR auf wachsende Schwierigkeiten stieß, wurde sie in einigen ostmitteleuropäischen Ländern mit steigendem Interesse und sogar, wie in der DDR, in bestimmten Kreisen der Bevölkerung mit Begeisterung verfolgt. Die Rezeption der sowjetischen Umgestaltung fand auch in westeuropäischen Ländern ein unterschiedliches Echo. Besonders unter emigrierten Intellektuellen verbreitete sich Skepsis in Hinblick auf einen möglichen durchgreifenden wirtschaftlichen und ideologischen Wandel der sowjetischen Staatsgesellschaft.
Quelle: Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, Bremen, FSO 2-060 Trinkewitz
Diese Meinung teilte auch der im Oktober 1979 aus der Tschechoslowakei zwangsemigrierte Künstler und Bürgerrechtler Karel Trinkewitz. Er schuf bereits wenige Monate nach der Verkündigung der Perestrojka zu diesem Thema politische Collagen, ein Genre, das in seinem künstlerischen Werk seit den 1970er Jahren einen breiten Stellenwert einnahm. Als leidenschaftlicher Bürgerrechtler und Unterzeichner der Petition Charta 77 gegen Menschenrechtsverletzungen hatte er im Umfeld des tschechischen Reformers Václav Havel einen Teil seines breiten künstlerischen Werkes der politischen Karikatur gewidmet. Diesem wichtigen Aspekt seines Schaffens blieb er auch im Hamburger Exil seit 1980 treu. Karel Trinkewitz, der aufgrund seiner deprimierenden Erfahrungen mit der Niederschlagung des Prager Frühlings im Jahre 1968 die sowjetischen Reformversuche von vornherein skeptisch sah, gestaltete bereits 1986/87 seine bissigen Karikaturen zu diesem Thema. Auf ihnen wurden die Begriffe ‚Perestrojka‘ und ‚Glasnost‘ mit satirischen Assoziationen verwendet. Er zeigte einen willensstarken, aber hilflosen Reformer inmitten eines Parteiapparats, der die ohnmächtige Gesellschaft im eisernen Griff hält. Solche oft auch grotesk verzerrten Bilder karikierten das Phänomen einer Sowjetdiktatur, die „von oben“ umgestaltet werden sollte.
Auf der Collage, die ein Foto des Generalsekretärs vor einigen Seifenblasen mit den Aufschriften Perestrojka zeigt, signalisieren die davonfliegenden, vom Platzen bedrohten Gebilde die Illusionen eines Reformers, der sich verzweifelt dem Beharrungswillen erstarrter Strukturen entgegenstemmt, doch in der Vorstellung des Künstlers bereits zu diesem Zeitpunkt resigniert hat. Beide Bildaussagen, die davonfliegenden Seifenblasen mit der Aufschrift ‚Perestrojka‘ und die in sich gekehrte Gestalt des Reformers, prangern die Hoffnungslosigkeit der Lage an.
Die hier präsentierte politische Collage ist Teil eines umfangreichen Werkes, das der Künstler Karel Trinkewitz (1931-2014) und Mitglied des Exil-P.E.N. Deutschsprachiger Länder der Forschungsstelle Osteuropa überlassen hat. Ihre unverblümte satirische Aussagekraft gewinnt in doppelter Hinsicht an Bedeutung: als zeitgenössisches künstlerisches Dokument mit visionärer Funktion und als Zeugnis einer brisanten politischen Kulturgeschichte.
Lesetipps:
Karel Trinkewitz. Das Leben ist eine Collage, Prag 1999.
Karel Trinkewitz. Chvala haihu. Lob des Haiku, Prag 2004.
Wolfgang Schlott. Grenzüberschreitung als spielerische Herausforderung. Zur Funktion von Karel Trinkewitz‘ visueller und konkreter Poesie im Kontext seiner gestalterischen Objekte. In: setup4, Nr. 2. (Online Magazin), Bremen 2015.
http://www.forschungsstelle.uni-bremen.de/de/13/20140605113304/20140624093632/ Nachruf_Karel_Trinkewitz.html.
Wolfgang Schlott
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