CfA: „Challenges of Data Collection, Re-use, and Analysis: Public Opinion, Political Debates, and Protests in the Context of the Russo-Ukrainian War"
The Research Centre for East European Studies (FSO), Bremen, 25-27.08.2025
Buchvorstellung/Gespräch
19:00 Uhr, Theater Bremen, Foyer Großes Haus
"White But Not Quite": Gibt es antiosteuropäischen Rassismus?
mit Autor Ivan Kalmar
Einführung: Klaas Anders, Moderation: Anke Hilbrenner
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3 0330 / Zoom
Muriel Nägler
Einführung für Studierende
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3 0330 / Zoom
Agata Zysiak (Vienna/Lodz)
The Socialist Citizenship. Social Rights and Class in Postwar Poland
Buchvorstellung und Gespräch
18:00 Uhr, Europapunkt
Ein Russland nach Putin?
mit Jens Siegert und Susanne Schattenberg
CfP: Coming to the Surface or Going Underground? Art Practices, Actors, and Lifestyles in the Soviet Union of the 1950s-1970s
The Research Centre for East European Studies (FSO), Bremen, November 13-14, 2025
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3 0330 / Zoom
Hera Shokohi (Bonn)
Genozid und Totalitarismus. Die Sprache der Erinnerung an die Opfer des Stalinismus in der Ukraine und Kasachstan
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3 0330 / Zoom
Sheila Fitzpatrick (Melbourne)
Lost Souls. Soviet Displaced Persons and the Birth of the Cold War
Wissenswertes
Gefangen - gerettet?
Zur Verhaftung Lew Kopelews vor 70 Jahren am 5. April 1945

Quelle: Forschungsstelle Osteuropa, Bestand FSO 01-003
„Der 5. April 1945 war ein sonniger, klarer Tag. Einer, an dem man schon frühmorgens weiß, dass das Leben herrlich ist und alles gut werden wird. (...) Mehr als zwei Wochen waren vergangen, seit man mich aus der Partei ausgeschlossen und von der Arbeit in der Politverwaltung der Zweiten Bjelorussischen Front suspendiert hatte – ich war als Oberinstrukteur für die ‚Arbeit unter den Truppen des Gegners und der Feindbevölkerung‘ eingesetzt gewesen. Noch am selben Tag hatte man mich mit über 40 Grad Fieber ins Lazarett eingeliefert ... Aber an diesem Morgen war ich fast schon wieder gesund.“ Mit dieser Schilderung beginnt der zweite Teil der autobiographischen Trilogie Lew Kopelews (1912 – 1997), „Aufbewahren für alle Zeit!“ Wenige Stunden später wurde er verhaftet und nach § 58 und § 193 des sowjetischen Strafkodex angeklagt, zum Ende des Großen Vaterländischen Krieges gegen die Ausschreitungen der Rotarmisten in Ostpreußen protestiert, „bürgerlichen Humanismus“ propagiert, „Mitleid mit dem Feind“ gezeigt und die „Kampfkraft der Armee“ geschwächt zu haben.
Bis zum Jahr 1954 musste Lew Kopelew in Gefängnissen und Arbeitslagern verbringen, bevor er im Zuge der Entstalinisierung rehabilitiert wurde und seine in den 1930er Jahren begonnene Lehr- und Forschungstätigkeit als Germanist wieder aufnehmen konnte. Doch seine Solidarität mit Regimekritikern wie Andrej Sinjawskij und Julij Daniel 1965, sein Protest gegen den Ausschluss Alexander Solschenizyns aus dem Schriftstellerverband 1969 und sein letztlich humanistisches Bekenntnis zur Freiheit des Geistes und des Wortes wurden mit erneutem Parteiausschluss, Schreib- und Berufsverbot und schließlich im Januar 1981, als Kopelew in West-Deutschland weilte, mit Entzug der Staatsbürgerschaft, bestraft.
So kritisch sich Kopelew später verhielt, so beflissen hatte er vor seiner Verhaftung der Propaganda gedient: Als Propagandaoffizier mit ausgezeichneten Deutschkenntnissen entwarf er Flugblätter, die deutsche Wehrmachtssoldaten zum Aufgeben veranlassen sollten. Das hier gezeigte, vom Grafiker Iwan Charkewitsch gestaltete Flugblatt „Rösselsprung – Lebenssprung“ ist ein Silbenrätsel, dessen Lösung den Landser in die Gefangenschaft und damit seine vermeintliche Rettung führt. Es diente gleichzeitig als Passierschein über die Frontlinie, wie der identische deutsche und russische Text ausweist. Das Rätsel suggeriert ein Schachspiel, bei dem der schwarze Springer die richtigen Züge ausführen muss, um darauf als weißes „Rössel“ mit seinem Reiter den Sprung ins Leben zu wagen. Die Auflösung, zu der ein Vierzeiler aufmuntert, lautet: Gefangen - gerettet ist das Gebot. Wie Lew Kopelew in seinen Erinnerungen schreibt, wurde diese Parole an der Nord-West-Front geprägt und bald an anderen Orten übernommen.
Das ausgewählte Dokument stammt aus dem Doppelnachlass Lew Kopelews und seiner Frau Raisa Orlowa (Signatur FSO 01-003). Es ist ein Kriegsflugblatt aus Kopelews umfangreicher Sammlung, die er zwischen August 1941 und Dezember 1943 an der Nord-West-Front zusammengetragen hat. Welchen Einfluss die Flugblattpropaganda tatsächlich auf das Kampfgeschehen hatte, ist bis heute umstritten. Sicher ist jedoch, dass unzählige Kriegsgefangene ebenso wie sowjetische Polithäftlinge die Zeit im Lager oft nicht überlebten. Es ist Lew Kopelews unerschütterlichem Optimismus eigen und konstituierendes Element seiner Wandlung von einem überzeugten Kommunisten und Verehrer Stalins zum unabhängigen Kämpfer für das freie Wort, dass er, rückblickend, seine eigene Strafe für „gerecht“ und „glücklich“ befand, da sie ihm den verbrecherischen Charakter des totalitären Staates zu begreifen half.
Lesetipps:
Lev Kopelev: Aufbewahren für alle Zeit! Hamburg 1976.
Heinrich Böll, Lew Kopelew: Warum haben wir aufeinander geschossen? Bornheim-Merten 1981.
Lew Kopelew: Waffe Wort. Göttingen 1991.
Klaus Kirchner (Hg.): Flugblätter aus der UdSSR. Gesamtverzeichnis der strategischen Serie 1941 – 1945 (Flugblattpropaganda im 2. Weltkrieg, Bd. 14), Erlangen 1995.
Hans Heinrich Düsel: Die sowjetische Flugblattpropaganda gegen Deutschland im Zweiten Weltkrieg: Die Frontflugblätter der nördlichen Fronten (Frontflugblätter im Osten, Bd. 2), Leipzig 2001.
Kirsten Schaper
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