Bibliothek und Archiv für Nutzung geschlossen
Bewerbungsschluss 05.01.2025
20h/Monat ab 1. April 2025; Unterstützung in Forschung und Lehre
Admin, max. 18h / Woche
zum 01.01.2025
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3, Raum 0330 / Zoom
Kerstin Brückweh (Erkner)
Wohnen und Wohneigentum. Lässt sich aus der Geschichte der Transformation in Ostdeutschland lernen?
20.01.2025 Bewerbungsschluss
03.07.-05.07.2024, Dresden
Buchvorstellung
18:00 Uhr, OEG 3790
"The Making and Unmaking of the Ukrainian Working Class"
mit Dr. Denys Gorbach (Autor) und Prof. Dr. Jeremy Morris (Diskutant)
Wissenswertes
Foto: Fabian Winkler Fotografie. Quelle: Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, Bremen, FSO 2-076
„[W]ir meinen, dass, wo alle betroffen sind, auch alle entscheiden müssen.“ Im April 1987, ein Jahr nach der Reaktorhavarie in Tschernobyl, veröffentlichten die Herausgeber/innen des Grenzfall einen „Offenen Brief an die Regierungen aller Länder“ der Initiative für direkte Demokratie. Während die Regierung der DDR noch an der zivilen Nutzung der Kernenergie festhielt, drängten sie auf einen Volksentscheid zum Betrieb der Atomkraftwerke. Die Funktion der Samizdat-Presse in der DDR und der Herstellung einer Gegenöffentlichkeit, in der eine politische Willensbildung abseits der SED stattfinden konnte, tritt in der Grenzfall-Ausgabe 4/87 besonders deutlich hervor. Sie wurde dem Archiv der Forschungsstelle Osteuropa Anfang 1988 aus dem oppositionellen kirchlichen Umfeld der DDR übergeben und ist unser Archivale des Monats April.
Nachdem die evangelische Kirchengemeinde Berlin-Treptow auf den Druck des Ministeriums für Staatssicherheit hin die Veranstaltungsräume für ein Menschenrechtsseminar entzogen hatte, gründete eine Gruppe von Dissident/innen am 24. Januar 1986 die Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM). Sie erhob den Anspruch, unabhängig von kirchlichen Strukturen zu arbeiten, und gab die siebzehn Ausgaben des zwischen Juni 1986 und November 1987 erscheinenden Grenzfall dementsprechend ohne den Hinweis auf den „innerkirchlichen Dienstgebrauch“, der seit 1959 die Vervielfältigung und Verbreitung von Schriftstücken für die Gemeindearbeit gestattete, heraus. Sie entschied sich damit für die Illegalität.
Foto: Fabian Winkler Fotografie. Quelle: Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, Bremen, FSO 2-076
Die IFM vertrat die These, nur ein Staat, der die Sicherheit seiner Bürger/innen garantierte, könne glaubhaft nach außen für den Frieden eintreten. Der Grenzfall-Ausgabe 4/87 zufolge seien dagegen Atomkraftwerke „Atombomben mit Zeitzünder.“ Die Sicherheit ihres Betriebs, so informierten die Verfasser/innen des offenen Briefs, könne nicht gewährleistet werden, und: „Wer aber auch nach Tschernobyl noch an dieser Technik festhält, ist ein gefährlicher Terrorist und Verbrecher.“ Die Gefahr durch zivile Nutzung der Kernenergie sowie die Friedensgefährdung durch ihre militärische Nutzung setzten die Autor/innen des offenen Briefs in eins und bestritten damit den Anspruch der SED, pazifistisch zu sein.
Dem offenen Brief fügten Martin Böttger und Ralf Hirsch eine Willenserklärung mit dem Titel „Nach Tschernobyl“ bei. Angesichts des Ansinnens der SED, die zivile Nutzung der Kernenergie auszuweiten, wiesen sie auf die in der Verfassung der DDR zugesagte Möglichkeit einer Volksabstimmung hin. Mit der Aufforderung, die Leser/innen sollten die Volkskammer mit ihrer Unterschrift zur Abhaltung einer Volksabstimmung auffordern, blieben Böttger und Hirsch im rechtlichen Rahmen der DDR. Sie veröffentlichten ihre privaten Adressen und traten somit öffentlich als Akteure politischer Entscheidungen auf.
Lesetipps:
Ilko-Sascha Kowalczuk: Von „aktuell“ bis „Zwischenruf“. Politischer Samisdat in der DDR, in: Ilko-Sascha Kowalczuk (Hg.): Freiheit und Öffentlichkeit. Politischer Samisdat in der DDR 1985 – 1989, Berlin 2002, S. 21 – 104.
Ulrike Poppe: „Der Weg ist das Ziel“. Zum Selbstverständnis und der politischen Rolle oppositioneller Gruppen der achtziger Jahre, in: Ulrike Poppe (Hg.): Zwischen Selbstbehauptung und Anpassung. Formen des Widerstandes und der Opposition in der DDR, Berlin 1995, S. 244 – 272.
Marc Siebert
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