Film und Gespräch: Heller Weg
19:00 Uhr, Kulturwerkstatt Westend
Mit Regisseurin Iryna Riabenka, moderiert von Oksana Chorna
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3, Raum 0330 / Zoom
Natalia Fedorenko (Bremen)
Coming of Age in the Urals in the Early 1960s: Ideals and Perspektives of the Middle Class. The Story of Anna Tarshis
Wissenswertes
„Heimwärts oder ins Grab“
Zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion vor 75 Jahren
Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, Bestand FSO 01-003
Am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die militärisch weitgehend unvorbereitete Sowjetunion und entfesselte damit den „Großen Vaterländischen Krieg“, der vier Jahre dauerte und am 8./9. Mai 1945 mit der Eroberung Berlins endete. Die symbolische Bedeutung des Kampfes zwischen den sich ideologisch konträr gegenüberstehenden Regimen prägte nicht nur die Kriegsführung beider Seiten. Um die gegnerischen Soldaten nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Worten zu bekämpfen, setzten beide Kriegsparteien enorme propagandistische Maßnahmen zur Demoralisierung des Feindes ein.
Das hier vorgestellte Archivale „Auf und Ab – Heimwärts oder ins Grab“ zeugt von dieser Strategie der sowjetischen Feindpropaganda. Angelehnt an das in Deutschland bekannte Leiterspiel sollten die Spielenden verschiedene Situationen des deutschen Soldatenalltags an der Front durchlaufen. Während einige Felder den Soldaten in Gefahr und somit dem sicheren Tode näher brachten, ermöglichten andere das Voranschreiten in Richtung Kriegsgefangenschaft, die als Rettung und Ziel des Spiels dargestellt ist. Die sowjetischen Erfinder gaben den deutschen Soldaten mit dem Spielbrett auch die Spielregeln, die Bauanleitung für einen Würfel sowie praktische Empfehlungen bei der Auswahl von Spielfiguren zur Hand. So sollte den deutschen Soldaten auf makaber-humorvolle Weise die Ausweglosigkeit ihres Kampfes vor Augen geführt werden.
Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, Bestand FSO 01-003
Das „Spiel für deutsche Soldaten“ geht vermutlich auf eine gemeinsame Idee des späteren Dissidenten Lew Kopelew und des Grafikers Iwan Charkewitsch zurück, die beide an der Nord-West-Front eingesetzt waren. Als Propagandaoffizier der Roten Armee entwarf Kopelew diverse Flugblätter, die deutsche Soldaten zum Überlaufen bewegen sollten. Das hier vorliegende Archivstück stammt aus seiner Sammlung, die er zwischen August 1941 und Dezember 1943 zusammentrug. Er übergab sie Anfang der 1990er Jahre an das Archiv der Forschungsstelle Osteuropa.
Die Flugblätter versprachen den Soldaten, das eigene Leben zu retten, und garantierten die sichere Heimkehr nach Kriegsende. Sie lockten außerdem mit einer warmen Unterkunft und guter Ernährung in der Kriegsgefangenschaft. Ob und wie viele der deutschen Soldaten diesen Zusicherungen Glauben schenkten, bleibt ungewiss. Kopelew jedoch tat es. „Was wir damals deutschen Soldaten in Flugblättern schrieben und über Lautsprecher zuriefen, war ehrlich gemeint und kam aus tiefster Überzeugung“, offenbarte er in seiner autobiografischen Abhandlung zur psychologischen Kriegsführung Waffe Wort. Dass die Gefangenen in den sowjetischen Lagern nicht die versprochene Rettung erwartete, musste Kopelew selbst erfahren. Am 5. April 1945 wurde er verhaftet und für „Mitleid mit dem Feind“ und die Propagierung „bürgerlichen Humanismus‘“ angeklagt. In den folgenden zehn Jahren durchlief Lew Kopelew den stalinistischen Repressionsapparat, der seinen Glauben an den Kommunismus zutiefst erschütterte – den Glauben, der auch seiner Arbeit als Propagandaoffizier zugrunde lag.
Vom 08.07. bis zum 30.08.2016 zeigt die FSO die Flugblatt-Sammlung Kopelews in der Ausstellung „Achtung! Feindpropaganda!“ im Haus der Wissenschaft.
Lesetipps:
Lew Kopelew: Aufbewahren für alle Zeit! Hamburg 1976.
Lew Kopelew: Waffe Wort, Göttingen 1991.
Hans Heinrich Düsel: Die sowjetische Flugblattpropaganda gegen Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Die Frontflugblätter der nördlichen Fronten (Frontflugblätter im Osten, Bd. 2), Leipzig 2001.
Benedikt Funke
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