Bibliothek und Archiv für Nutzung geschlossen
Bewerbungsschluss 05.01.2025
20h/Monat ab 1. April 2025; Unterstützung in Forschung und Lehre
Admin, max. 18h / Woche
zum 01.01.2025
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3, Raum 0330 / Zoom
Kerstin Brückweh (Erkner)
Wohnen und Wohneigentum. Lässt sich aus der Geschichte der Transformation in Ostdeutschland lernen?
20.01.2025 Bewerbungsschluss
03.07.-05.07.2024, Dresden
Buchvorstellung
18:00 Uhr, OEG 3790
"The Making and Unmaking of the Ukrainian Working Class"
mit Dr. Denys Gorbach (Autor) und Prof. Dr. Jeremy Morris (Diskutant)
Wissenswertes
Oppositionelle Internationale?
Vor 35 Jahren erschien die erste Ausgabe der polnischen Untergrundzeitschrift Obóz
Foto: Fabian Winkler Fotografie. Quelle: Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, Bremen, FSO-2-002-Gp-0550
„So ein Unsinn! Das ist doch hirnrissig!“ So reagierte Carola Stern, als sie zu Beginn der 1980er Jahre von den Europavorstellungen der polnischen Opposition seit den 1970er Jahren hörte. Angeblich sollte in polnischen oppositionellen Kreisen bereits lange vor den Zwei-plus-Vier-Gesprächen und vor der Perestrojka die Idee der deutschen Wiedervereinigung als konkretes Ziel für eine Weltordnung nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Herrschaftssystems formuliert worden sein.
Die deutsche Wiedervereinigung als Forderung polnischer Oppositioneller? Das überstieg den Horizont der meisten westdeutschen Intellektuellen. Seit Jahrzehnten waren aus Polen scharfe antideutsche Töne gekommen, wenigstens von offizieller Seite, und weil nach wie vor nur eine Minderheit genauere Kenntnis von den Vorgängen im Land hatte, ging man stillschweigend davon aus, dass es in der Opposition um die Einstellung zu Deutschland nicht besser bestellt sein würde.
Das Titelbild der Untergrundzeitschrift Obóz (deutsch: Lager) zeigt eindrucksvoll, wie falsch diese Ansicht war. Auf der hier präsentierten Karte Europas war Deutschland zwar noch nicht wiedervereinigt. Aber die DDR gehörte wie die anderen Satellitenstaaten der Sowjetunion nicht mehr zum „Ostblock“, sondern war Teil eines „Zwischeneuropas“ zwischen Westeuropa und einem territorial wesentlich verkleinerten Russland. Die Redaktion von Obóz rief die Oppositionsbewegungen im Ostblock dazu auf, zur Gestaltung dieses zukünftigen Europas zusammenzuarbeiten. Der Titel der Zeitschrift, Obóz, spielte mit dem Bild des Ostblocks als sozialistischem Völker-Gefangenenlager mit einzelnen Baracken und forderte dazu auf, Gemeinschaft in Ostmitteleuropa neu zu denken.
Foto: Fabian Winkler Fotografie. Quelle: Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, Bremen, FSO 2-002-Gp 0550
Ganz im Sinne des traditionellen Mottos polnischer Freiheitskämpfer aus dem Novemberaufstand von 1830/31 „Für unsere und eure Freiheit“ versuchten polnische Oppositionelle mit Periodika wie der Zeitschrift Obóz, ein länderübergreifendes Oppositionsnetzwerk aufzubauen. Die Zeitschrift wurde nicht nur in Polen, sondern auch in den oppositionellen Szenen der Tschechoslowakei, der DDR und der Sowjetunion verbreitet. Sie gehört zu einer Reihe polnischer Untergrundperiodika mit ähnlicher Zielsetzung, die mitunter (so im Falle der Zeitschrift Opinie [deutsch: Meinungen]) auch in andere Sprachen übersetzt wurden. Namhafte Figuren der Oppositionsbewegungen (auch aus der Sowjetunion, z. B. Kronid Lubarskij oder Andrei Sacharow) veröffentlichten in Obóz Texte. Außerdem wurden zentrale Texte der Emigration (beispielsweise aus dem wichtigsten Organ der polnischen Emigration, der Pariser Zeitschrift Kultura) nachgedruckt wie etwa Juliusz Mieroszewskis bedeutender Artikel „Polska Ostpolitik“, der in den 1970er Jahren die deutsche Wiedervereinigung als Perspektive für den Kontinent bereits angedeutet hatte.
In den letzten Ausgaben des Jahres 1989 zeigten sich sowohl Erfolg als auch Begrenztheit dieses Ansatzes. Zwar beförderte Obóz den Gedankenaustausch auch mit der Oppositionsbewegung aus Ländern, mit denen es bis dahin keine Kontakte gegeben hatte, wie etwa mit Litauen. Aber gerade die neu entstehenden litauisch-polnischen Kontakte machten die Gräben sichtbar, die einen gemeinsamen Diskurs erschwerten. Hier wie auch in andern Fällen waren es oft noch unbeglichene Rechnungen aus der Zwischenkriegszeit, deren fehlende Aufarbeitung sich hemmend bemerkbar machte, wie etwa die auch in den 1980er Jahren immer noch zwischen Polen und Litauen umstrittene Frage, zu wem Wilna gehörte. Obóz ist ein Symbol für den Willen vieler Intellektueller des damaligen Ostblocks zur Überwindung solch bilateraler Gegensätze.
In der FSO befinden sich alle im Untergrund herausgebrachten Nummern der Zeitschrift von Nr. 1 (1981) bis Nr. 19 (1990). Nach der Aufhebung der Zensur wurde die Zeitschrift bis in die 2010er Jahre fortgeführt; auch diese Ausgaben sind in der FSO einsehbar.
Lesetipps:
Rüdiger Ritter: Preparing the Postcolonial Situation: Polish Drugi Obieg Periodicals. The Europe Topic and the Question of Poland’s Eastern Neighbors, in: Porównania 13 (2013), S. 61-79.
Rüdiger Ritter
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