Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3, Raum 0330 / Zoom
Maike Lehmann (Bremen)
Kul‘turnost‘ and Non/Belonging in the Late Soviet Union
(65% der vollen Wochenarbeitszeit, Entgeltgruppe 13 TV-L)
ab dem 01. Januar 2025 befristet für 3 Jahre. Bewerbungsfrist: 31.10.2024
Diskussion: Was ist „Osteuropa“? Geschichte und Gegenwart eines widersprüchlichen Konzepts
19 Uhr, Bibliothek der Weserburg Museum für moderne Kunst
Anastasia Tikhomirova, Hans-Christian Petersen, Artur Weigandt, Klaas Anders
Ukrainische Schriftsteller*innen in Zeiten des Krieges
18:00 Uhr, Europapunkt Bremen
Oxana Matiychuk, Susanne Schattenberg
Wissenswertes
„Auf die neuen Pinochets wartet das Kriegstribunal“
Vor 25 Jahren scheiterte der Moskauer Staatsstreich und leitete das Ende der Sowjetunion einAm Morgen des 19. August 1991 rollten Panzer durch die Straßen Moskaus. Wie das sowjetische Fernsehen verlautbarte, hatte das sogenannte Staatskomitee für den Ausnahmezustand, bestehend aus Regierungsmitgliedern wie dem KGB-Vorsitzenden Wladimir Krjutschkow und Verteidigungsminister Dmitri Jasow, die Macht übernommen und die von Michail Gorbatschow eingeleitete Reformpolitik beendet. Während die Putschisten den sowjetischen Präsidenten auf der Krim festsetzten, befand sich sein Reform-Gegenspieler, der Präsident der Russischen Sowjetrepublik, Boris Jelzin, noch auf freiem Fuß. Um ihn formierte sich bereits der Widerstand gegen den Staatsstreich.
Foto: Fabian Winkler Fotografie. Quelle: Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, Bremen, FSO 01-030.108 Kamyshnikova
Unser Archivstück des Monats August erinnert an diesen Moment zwischen Hoffen und Bangen. Als noch unklar war, welche Seite sich durchsetzen würde, rief der Vorsitzende des Leningrader Stadtrats, Alexander Belajew, Kriegsdienstleistende der Leningrader Garnison dazu auf, „auf die Seite des Volkes“ überzulaufen. Dieses Flugblatt, dessen Text möglicherweise auch über Medien verbreitet wurde, war ein Baustein einer ganzen Reihe von Aktionen, über die sowjetische Reformpolitiker den Widerstand gegen den Staatstreich organisierten und auch ins gegnerische Lager kommunizierten. Die Definitionsmacht wird darin Boris Jelzin zugesprochen. Der festgesetzte Michail Gorbatschow erscheint als Opfer des Staatsstreichs, während der obersten Nomenklatur der Kommunistischen Partei, die gemeinsam mit Kräften von Innenministerium und KGB hinter dem Staatsstreich stehe, jegliche Legitimität abgesprochen wird. Auf diese „neuen Pinochets“ warte das Kriegstribunal - in Anspielung auf Augusto Pinochets Militärdiktatur in Chile.
Mit dem Staatstreich 1991 erreichten die Jahre von Gorbatschows Perestrojka ihren Endpunkt. Auf der einen Seite standen Reformer, die die Debatten des Volksdeputiertenkongresses, des 1989 erstmals gewählten gesetzgebenden Organs der Sowjetunion, als Farce wahrnahmen, da dieses Gremium die Macht der Kommunistischen Partei nicht in Frage stellte. Auf der anderen Seite stand das machtpolitische Establishment der UdSSR, das zunehmend verunsichert und nervös auf die innere Destabilisierung und den Verlust Ostmitteleuropas reagierte. Als Teile der Armee und der Sicherheitskräfte des KGB die Seiten wechselten und das Weiße Haus verteidigten, in dem sich die Regierung der Russischen Sowjetrepublik unter Jelzin aufhielt, war nicht nur der Staatsstreich nach drei Tagen gescheitert. Es folgte das Verbot der Kommunistischen Partei in der RSFSR durch Jelzin und das Ende der Sowjetunion im Dezember 1991.
Die Kopie von Belajews Aufruf an Leningrader Kriegsdienstleistende, die an der Forschungsstelle Osteuropa archiviert ist, hat eine lange Reise hinter sich. Am 7. September 1991 gab der Leningrader Lyriker Dmitri Bobyschew einem US-amerikanischen Gast ein Schreiben und beigefügt dieses Flugblatt an die mit ihm befreundete Emigrantin und Literaturwissenschaftlerin Natalja Perwuchina-Kamyschnikowa in die USA mit. Es befindet sich gemeinsam mit anderen zeitgeschichtlichen Dokumenten seit 2006 im Archiv der Forschungsstelle Osteuropa in Bremen.
Lesetipp:
Stephen Kotkin: Armageddon Averted: Soviet Collapse, 1970-2000, Oxford 2009.
Manfred Zeller
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