Film und Gespräch: Heller Weg
19:00 Uhr, Kulturwerkstatt Westend
Mit Regisseurin Iryna Riabenka, moderiert von Oksana Chorna
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3, Raum 0330 / Zoom
Natalia Fedorenko (Bremen)
Coming of Age in the Urals in the Early 1960s: Ideals and Perspektives of the Middle Class. The Story of Anna Tarshis
Wissenswertes
Die kurzen Jahre der Offenheit
Vor 30 Jahren erschien die erste Ausgabe der informellen Zeitschrift ‚Glasnost‘
Die erste Ausgabe der informellen Zeitschrift Glasnost vom Mai 1987 ging direkt an das Zentralkomitee der KPdSU. „Demonstrativ“ hätten sie die Zeitschrift, deren Name sich direkt an das Reformprogramm Michail Gorbatschows anlehnte, an das ZK geschickt, so Sergej Grigorjanz, ehemaliger Polithäftling und Chefredakteur der Zeitschrift. Transparenz und Offenheit waren für die Macher von Glasnost Programm.
Das zuständige Staatskomitee für Verlage, Polygrafie und Buchhandel reagierte prompt. Es zitierte Grigorjanz für den 12. Juli 1987 zum Gespräch. Dies war der Auftakt einer Reihe von Einschüchterungsversuchen, an deren Ende Hausdurchsuchungen der Miliz bei Grigorjanz und Glasnost standen. Unser Archivstück des Monats entstand nach diesem Treffen. Der stellvertretende Vorsitzende des Komitees, Mamlejew, erläuterte darin dem ZK seine Einschätzung zu Grigorjanz.
Unter den Schlagworten des Umbaus (Perestrojka) und der Transparenz (Glasnost) versuchte Michail Gorbatschow, Generalsekretär der KPdSU seit März 1985, Staat und Gesellschaft zu reformieren und zu erneuern. Seine Perestrojka blieb unvollendet. Ihre Widersprüche beruhten auf einem Missverständnis. Im Kern ging es Gorbatschow um die Erneuerung und Bewahrung der Sowjetunion. Transparenz, Meinungspluralität und Demokratie waren Mittel zu diesem Zweck. Andere Akteure hingegen, furchtlose Chefredakteure oder konkurrierende Politiker wie Boris Jelzin, rissen das Fenster, das Gorbatschow einen Spalt öffnete, weit auf. Die letzten Jahre der Sowjetunion verbrachte der zunehmend erschöpft wirkende Gorbatschow damit, zwischen Radikalreformern und konservativen Kräften zu moderieren.
Foto: Fabian Winkler Fotografie. Quelle: Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, FSO 01-132 Moldawer. FSO 01-003-S159 Kopelew.
Bereits die erste Ausgabe von Glasnost löste ein großes Echo in westlichen Medien aus. Ihr vorangestellt war ein Artikel Andrei Sacharows, der wie Grigorjanz selbst erst kurz zuvor nach Moskau hatte zurückkehren dürfen – Sacharow war bis Dezember 1986 im Exil in Gorkij, Grigorjanz bis Februar 1987 in Haft. Alleine die Tatsache, dass der Menschenrechtsaktivist und Friedensnobelpreisträger Sacharow am Anfang der ersten Ausgabe stand, signalisierte, dass es sich bei Glasnost um eine bedeutende Zeitschrift der sowjetischen Gegenöffentlichkeit handelte. „Hunderte Menschen“ bemühten sich, wie Grigorjanz sich erinnert, um die Verteilung und auch Abschrift der Zeitschrift, die in einer kleinen Wohnung im Süden Moskaus hergestellt wurde. In den kommenden Monaten sollten viele weitere folgen.
Die große Sammlung informeller Periodika der Perestrojka-Jahre im Archiv der Forschungsstelle Osteuropa wurde in der ersten Hälfte der 1990er Jahre zusammengetragen. Der Briefwechsel zwischen Mamlejew und dem ZK liegt im Bestand Viktor Dmitrijews (1933-2001), den der Schriftsteller und Philologe Gassan Gussejnov 1996 nach Bremen brachte.
Der innere Widerspruch der Perestrojka, der in Mamlejews Brief zum Ausdruck kommt, blieb in den folgenden Jahren erhalten und kulminierte im versuchten Staatstreich im August 1991, als sich Teile der sowjetischen Regierung und die Sicherheitsapparate gegen Gorbatschow und auch gegen Jelzin als Präsidenten der russischen Teilrepublik wandten. Indem sie scheiterten, besiegelten sie das Ende der Sowjetunion.
Lesetipps:
Silvia von Steinsdorff: Russland auf dem Weg zur Meinungsfreiheit. Die Pluralisierung der russischen Presse zwischen 1985-1993, Münster 1994.
Carole Sigman: Političeskie kluby i perestrojka v Rossii: oppozicija bez dissidentstva, Moskau 2014.
Manfred Zeller
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