Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3, Raum 0330 / Zoom
Natalia Fedorenko (Bremen)
Coming of Age in the Urals in the Early 1960s: Ideals and Perspektives of the Middle Class. The Story of Anna Tarshis
Bibliothek und Archiv für Nutzung geschlossen
Wissenswertes
Flurbegehung im Magdeburger Grenzgebiet.
Mail-Art aus der DDR
Foto: Fabian Winkler Fotografie. Quelle: Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, FSO 02-103. Mit Kunstwerken folgender Künstler: Knut Hartwich, Bernd Hiepe, Andrea Minkwitz, Jürgen Schieferdecker, AnthroArt, Jürgen Prusas, Bernd-Lutz Lange, Birger Jesch (von oben links nach unten rechts).
Kunst per Post verschicken? Auch in der DDR der 1970/80er Jahre bediente sich eine rasch wachsende Gruppe von Künstler/innen der Versendung von Postkarten mit witzigen Motiven und Briefen mit grenzüberschreitenden Botschaften. Aber nicht alle erreichten ihre Empfänger, vor allem im kapitalistischen Feindesland. Die amtlichen Grenzwächter beschlagnahmten so manches, obskures Objekt, das sich nicht an die parteilichen Normen des sozialistischen Realismus anpasste. Doch die Mail-Artisten, in den Grenzbereichen von visueller Poesie, bildender Kunst und grafischer Kommunikation tätig, griffen zu raffinierten Praktiken, um die Zensur im staatlich kontrollierten Kunstbetrieb zu umgehen.
So auch der aus Magdeburg stammende Thomas Westermann, seit 1986 in Schönebeck an der Elbe als Grafiker und Siebdrucker tätig. Gemeinsam mit seinem Kollegen Wolfgang Schneider dachte er sich ein ungewöhnliches Kunstprojekt zur Vorbereitung einer Ausstellung im damaligen Kulturhaus „Ernst Thälmann“ aus. Sie verschickten Briefe an Künstler/innen, die sich des postalischen Netzwerkes bedienten. In den Kuverts befand sich die fotografische Abbildung eines leeren Flurs im Kulturhaus (siehe Abb. 2). Auf dem Begleitschreiben luden die Kuratoren die Mail-Artisten zur Ausstellung mit dem Titel „tRaumgeBILDE“ ein und baten sie, die beiliegenden Fotos mit einer „Traum-Kreation“ zu gestalten.
Foto: Fabian Winkler Fotografie. Quelle: Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, FSO 02-103.
Die Resonanz war unerwartet groß. Mehr als 200 Einsendungen aus 26 europäischen und außereuropäischen Ländern, die Mehrzahl unter ihnen aus der DDR und der BRD, erreichten die Kuratoren. Doch in der letzten Phase der Ausstellungsvorbereitung im Spätherbst 1985 tauchten unüberwindbare Hindernisse auf. Die Leitung des Kulturhauses wandte sich zwecks politischer Absicherung an die örtliche Zentrale der Staatssicherheitsbehörde in Magdeburg. Diese bewertete in einem Schreiben vom 26.01.1986 die Ausstellung als Verstoß „gegen Grundsätze der staatlichen Kulturpolitik der DDR“, da „eine inhaltliche Konzeption im Sinne sozialistischer Kulturpolitik (…) weder formuliert noch erkennbar (war)“. Besonders den aus der DDR stammenden Mail-Artisten wurde vorgeworfen, dass ihre Arbeiten „weder formal-ästhetisch noch inhaltlich den Ansprüchen an sozialistische Kunst“ genügten. Die damit aus staatspolitischen Gründen untersagte Ausstellung wurde allerdings noch zu DDR-Zeiten im Spätherbst 1988 in fragmentarischer Form in zwei Magdeburger Jugendclubs gezeigt.
Doch damit nicht genug. Noch zweimal, in den Jahren 1995 und 2005, wurde diese Ausstellung mit einer rasant wachsenden Zahl von Teilnehmer/innen aus aller Welt in Magdeburg präsentiert. Ein Mail-Art Projekt also mit „verdammt viel Eigendynamik“ (F.L. Freygang), wie es die grafisch und inhaltlich ausgezeichnete zweisprachige Dokumentation „Flurbegehung“ (Schönebeck 2006) wie auch die acht Abbildungen von in der DDR und der BRD lebenden Künstlerinnen und Künstlern aus der Ausstellung 1988 zeigen (siehe Abb. 1).
Thomas Westermann übergab alle Ausstellungsmappen und die Dokumentation am 20. November 2015 als Schenkung dem Archiv der Forschungsstelle Osteuropa. Darüber hinaus ist das elektronisch konservierte künstlerische Material auch unter www.traumgebilde.net einzusehen.
Lesetipps:
Franziska Dittert: Mail Art in der DDR. Eine intermediale Subkultur im Kontext der Avantgarde, Berlin 2010.
Franz Leopold Freygang / Thomas Westermann: tRAUMgeBILDE. ROOM-CREATION. FLURBEGEGNUNG. Inspection of the Hallway, Schönebeck 2006.
Wolfgang Schlott
Länder-Analysen
Die Länder-Analysen bieten regelmäßig kompetente Einschätzungen aktueller politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Entwicklungen in Mittel- und Osteuropa sowie Zentralasien. Alle Länder-Analysen können kostenlos abonniert werden und sind online archiviert.
» Länder-Analysen
» Caucasus Analytical Digest
» Russian Analytical Digest
» Ukrainian Analytical Digest
» Länder-Analysen
» Caucasus Analytical Digest
» Russian Analytical Digest
» Ukrainian Analytical Digest
Online-Dossiers zu
» Russian street art against war
» Dissens in der UdSSR
» Duma-Debatten
» 20 Jahre Putin
» Protest in Russland
» Annexion der Krim
» sowjetischem Truppenabzug aus der DDR
» Mauerfall 1989