CfA: „Challenges of Data Collection, Re-use, and Analysis: Public Opinion, Political Debates, and Protests in the Context of the Russo-Ukrainian War"
The Research Centre for East European Studies (FSO), Bremen, 25-27.08.2025
Buchvorstellung/Gespräch
19:00 Uhr, Theater Bremen, Foyer Großes Haus
"White But Not Quite": Gibt es antiosteuropäischen Rassismus?
mit Autor Ivan Kalmar
Einführung: Klaas Anders, Moderation: Anke Hilbrenner
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3 0330 / Zoom
Muriel Nägler
Einführung für Studierende
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3 0330 / Zoom
Agata Zysiak (Vienna/Lodz)
The Socialist Citizenship. Social Rights and Class in Postwar Poland
Buchvorstellung und Gespräch
18:00 Uhr, Europapunkt
Ein Russland nach Putin?
mit Jens Siegert und Susanne Schattenberg
CfP: Coming to the Surface or Going Underground? Art Practices, Actors, and Lifestyles in the Soviet Union of the 1950s-1970s
The Research Centre for East European Studies (FSO), Bremen, November 13-14, 2025
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3 0330 / Zoom
Hera Shokohi (Bonn)
Genozid und Totalitarismus. Die Sprache der Erinnerung an die Opfer des Stalinismus in der Ukraine und Kasachstan
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3 0330 / Zoom
Sheila Fitzpatrick (Melbourne)
Lost Souls. Soviet Displaced Persons and the Birth of the Cold War
Wissenswertes
Ein trügerischer Moment
Zur Wahl von Alexander Dubček zum Vorsitzenden der KPČ vor 50 Jahren
Quelle: Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, FSO 02-095 Weber.
Unsere Archivale zeigt Leonid Breschnew, Generalsekretär der KPdSU, und Alexander Dubček, Erster Sekretär der KPČ, am 3. August 1968 in Bratislava, und nichts weist auf ein Zerwürfnis oder den nahenden Einmarsch von Truppen in Prag hin. Es zeigt einen festlichen Moment mit zwei offenbar gut gelaunten Politikern. Es war die Ruhe vor dem Sturm.
Sieben Monate zuvor, am 5. Januar 1968, war Dubček Vorsitzender der KPČ geworden und hatte damit den Altkader Antonín Novotný, der als schwierig und unnahbar galt, abgelöst. Breschnew hatte diesen Wechsel begrüßt: Vermutlich hielt er Dubček für sein tschechoslowakisches Pendant: ein junger, umgänglicher Parteikader, der frischen Wind brachte. Von seinem Freund János Kádár, dem ungarischen Parteichef, ließ er sich sagen, dass Dubček ein guter Mann sei, auf den man sich verlassen könnte. Vermutlich hätten weder Dubček noch Breschnew zu diesem Zeitpunkt geglaubt, dass nur siebeneinhalb Monate später Breschnew Panzer schicken sollte, um Dubček abzusetzen.
Was war passiert? Dubček war nicht nur der jugendliche Typ, den Breschnew in ihm sah, sondern ein Politiker, der innerhalb kürzester Zeit dem Sozialismus ein „menschliches Antlitz“ verlieh: Die Zensur wurde abgeschafft, Presse- und Versammlungsfreiheit eingeführt. Es war, als würden er und seine Mitstreiter Fluttore öffnen: Presse und Publizistik florierten und bald wurden Stimmen laut, die nicht nur Wirtschaftsreformen und mehr Pluralismus, sondern auch ein Ende des Sozialismus und der Freundschaft mit der Sowjetunion forderten. Das beunruhigte die Nachbar-KPs der Warschauer-Pakt-Staaten, die bald in verschiedenster Form begannen, Dubček zu warnen und zu fordern, er müsste die „Konterrevolution“ in seinem Land stoppen und deren Protagonisten aus den Parteireihen entfernen. Breschnew war mit der Letzte, der an Dubček festhielt und ihm noch eine Chance geben wollte, während Walter Ulbricht für die DDR und Władysław Gomułka für Polen schon längst auf die Entsendung von Truppen drängten.
Ein letztes denkwürdiges Treffen gab es in Čierna an der Theiss Ende Juli 1968, wo sich die komplette Parteispitze der KPČ mit dem kompletten Politbüro der KPdSU in einem Eisenbahnwaggon an der slowakisch-ukrainischen Grenze traf. Während Breschnew auf Dubček einredete, er müsste die Reformer alias „Konterrevolutionäre“ entmachten, verlangte dieser ein Treffen im Kreis der Warschauer-Pakt-Staaten, um über die individuellen Wege aller Staaten zum Sozialismus zu verhandeln. Eben dieses Treffen fand am 3. August in Bratislava statt und endete am Abend mit der feierlichen Vorstellung eben dieses Dokuments. Breschnew war glücklich, weil er glaubte, Dubček habe durch sein Schweigen zugestimmt, die Reformer zu entlassen; Dubček war zufrieden, weil ihm das Dokument von Bratislava Souveränität zusicherte.
18 Tage später, am 21. August 1968, rollten Panzer der Warschauer-Pakt-Staaten in Prag ein. Wie konnte es soweit kommen? Breschnew hatte insistiert, dass Dubček sein vermeintliches Versprechen, die „Konterrevolutionäre“ aus den Parteireihen zu entfernen, umsetzen müsste. Dubček aber hatte nicht nur auf die Souveränität seines Landes, sondern auch auf demokratische Wahlen gepocht: Die KPČ beanspruchte nicht mehr die Führungsrolle für sich, vermutlich werde er selbst beim bevorstehenden Parteiplenum abgewählt, so Dubček zu Breschnew. Die tschechoslowakischen Reformer hatten nicht den „Fehler“ wie die Ungarn 1956 begangen, den Austritt aus dem Verteidigungsbündnis zu erklären. Aber sie hatten eine andere rote Linie überschritten: die Alleinherrschaft der kommunistischen Partei in Frage zu stellen.
Das Foto aus Bratislava, unser Archivale des Monats, stammt von Hans-Joachim Weber, der es während seiner Zeit als Botschaftsrat in Prag (1988-1992) aus dem privaten Umfeld Dubčeks erhalten hat. Seit 2006 liegt es im Archiv der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen. Es zeigt den letzten Moment, als „Patron“ und „Klient“ scheinbar wieder in Eintracht vereint waren. Ein trügerischer Moment.
Lesetipps:
Susanne Schattenberg: Leonid Breschnew. Staatsmann und Schauspieler im Schatten Stalins, Köln 2017
Susanne Schattenberg: ‚Sascha, ich würde Dir gern glauben, aber versteh auch Du mich…’ Breschnew, Dubček und die Frage von Kadern und Vertrauen im Konflikt um den Prager Frühling 1968“, in: Historische Anthropologie 21 (2013) 2, S. 227-250.
Susanne Schattenberg
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