Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3, Raum 0330 / Zoom
Maike Lehmann (Bremen)
Kul‘turnost‘ and Non/Belonging in the Late Soviet Union
(65% der vollen Wochenarbeitszeit, Entgeltgruppe 13 TV-L)
ab dem 01. Januar 2025 befristet für 3 Jahre. Bewerbungsfrist: 31.10.2024
Diskussion: Was ist „Osteuropa“? Geschichte und Gegenwart eines widersprüchlichen Konzepts
19 Uhr, Bibliothek der Weserburg Museum für moderne Kunst
Anastasia Tikhomirova, Hans-Christian Petersen, Artur Weigandt, Klaas Anders
Ukrainische Schriftsteller*innen in Zeiten des Krieges
18:00 Uhr, Europapunkt Bremen
Oxana Matiychuk, Susanne Schattenberg
Wissenswertes
Die Zeitachse des Dissens
Zum 50. Jahrestag des Menschenrechtsbulletins „Chronik der laufenden Ereignisse“
Quelle: Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, FSO 01-185, Chronik der laufenden Ereignisse (Fotoabzüge)
Wie erfolgreich und gleichzeitig gefährlich ihre Strategie sein sollte, Unrecht zu dokumentieren, erwies sich im kommenden Jahrzehnt. Unser Archivale des Monats zeigt Fotosamizdat der Chronika aus den Jahren 1969 und 1970 sowie gedruckte Exemplare der in Amsterdam ansässigen Alexander Herzen Stiftung aus dem Nachlass des Ökonomen Sergej Pirogov.
Als sich Menschenrechtsfragen in den 1970er Jahren zum Spielball im Kalten Krieg entwickelten, nahm die Zeitschrift im Kampf um Deutungshoheiten eine maßgebliche Rolle ein. Schnell galt die Chronika in Westeuropa und den USA als authentische, hoch zuverlässige Quelle und wurde zum wichtigsten inoffiziellen Informationsorgan über Menschenrechtsverletzungen in der Sowjetunion. Während die insgesamt 63 Hefte von diversen (Emigranten-)Verlagen oder Organisationen wie Amnesty International im „Dort-Verlag“ (Tamizdat) reproduziert wurden, verfolgten die sowjetischen Behörden von Beginn an ihre Herstellung und Verbreitung aufs Schärfste. Repressionserfahrungen und die Unterstützung jener, die in Lagern und Gefängnissen inhaftiert waren, prägten den Alltag und das Lebensgefühl sowjetischer Dissident/innen. Die Chronika war dabei ihre Zeitachse und ihr Orientierungspunkt. Mit der sich von Moskau und Leningrad nach Kiew, Tallinn, Novosibirsk oder Odessa erstreckenden Leserschaft zeigt sie die Breite der Bewegung für die Verteidigung von Menschenrechten. Als das Blatt aufgrund der Zerschlagung ihres Redaktionskreises 1973 für kurze Zeit eingestellt werden musste, fühlten sich damalige Protagonisten wie Alexander Daniel aus der Zeit geworfen und empfanden ihr Fehlen „geradezu körperlich“.
Quelle: Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, FSO 01-185, Chronik der laufenden Ereignisse (gedruckte Fassung)
Die überragende Bedeutung der Chronika für sowjetische Dissidenten spiegelt sich bis heute in ihren Archiven. Die Typoskripte im Nachlass von Sergej Pirogov wurden als alternative Vervielfältigungstechnik nicht erneut auf Schreibmaschine abgetippt, sondern mit dem Fotoapparat aufgenommen und auf Fotopapier in Postkartengröße entwickelt. Ein Satz Abzüge ist mit einer gelben Ringbindung versehen, die nur schwer erhältlich war. Zur fein säuberlichen Aufbewahrung der Bilder fertigte der Besitzer einen Schuber aus Karton an. Ließen sich die Hefte damit besser verstecken oder galt es vielmehr, die Unterlagen bequemer archivieren zu können? Wenngleich die Herkunft der Kopie sowie Zeitpunkt und Ort ihrer Bearbeitung nicht umfassend geklärt sind, lässt die allgemeine Bedeutung der Chronika für den biographischen Werdegang Pirogovs keine Fragen offen. Die Zeitschrift bestimmte sein weiteres Schicksal genauso wie jenes vieler seiner Mitstreiter.
Lesetipps:
Gennadij Kuzowkin: „Die Chronik der laufenden Ereignisse“, in: Horch und Guck 4/2008, S. 54-57.
Aleksandr Daniel: Wie freie Menschen. Ursprung und Wurzeln des Dissens in der Sowjetunion, in: Wolfgang Eichwede (Hg.): Samizdat. Alternative Kultur in Zentral- und Osteuropa. Die 60er bis 80er Jahre, Bremen 2000, S. 38-50.
Volltexte der „Chronika“ in russischer Sprache online: http://hts.memo.ru/, in englischer Sprache unter dem Titel „Chronicle of current events“: www.amnesty.org
Manuela Putz
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