Bibliothek und Archiv für Nutzung geschlossen
Bewerbungsschluss 05.01.2025
20h/Monat ab 1. April 2025; Unterstützung in Forschung und Lehre
Admin, max. 18h / Woche
zum 01.01.2025
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3, Raum 0330 / Zoom
Kerstin Brückweh (Erkner)
Wohnen und Wohneigentum. Lässt sich aus der Geschichte der Transformation in Ostdeutschland lernen?
20.01.2025 Bewerbungsschluss
03.07.-05.07.2024, Dresden
Buchvorstellung
18:00 Uhr, OEG 3790
"The Making and Unmaking of the Ukrainian Working Class"
mit Dr. Denys Gorbach (Autor) und Prof. Dr. Jeremy Morris (Diskutant)
Wissenswertes
Protest „am Rande der Hoffnungslosigkeit“
Zum 50. Jahrestag der Selbstverbrennung von Jan Palach
Jan Palach, FSO 02-043 Lederer; PRACE,17.01.1969.
Am 16. Januar 1969, knapp fünf Monate nach der gewaltsamen Beendigung des „Prager Frühlings“, übergoss sich der 20-jährige Student Jan Palach auf dem Prager Wenzelsplatz mit Benzin und zündete sich selbst an. Augenzeugen berichteten später, er sei brennend losgerannt und nach einigen Metern auf den Boden gestürzt. Ein Straßenbahnfahrer löschte die Flammen, der junge Mann wurde ins Krankenhaus gebracht. Drei Tage später erlag er seinen schweren Verletzungen. Mit seiner Selbstverbrennung hatte Jan Palach eine Protestform buddhistischer Mönche aufgegriffen, deren Bilder 1963 um die Welt gegangen waren. Warum entschied er sich zu dieser drastischen Geste?
Aufschluss über Jan Palachs Intentionen liefert ein Brief, den er bei sich trug und dessen Abschrift sich im Archiv der Forschungsstelle befindet. Sie entstammt dem Nachlass des Journalisten Jiří Lederer, Verfasser der ersten Palachbiografie. 1982 in Zürich erschienen, basiert der „biografische Bericht“ auf verschiedensten Quellen, darunter das präsentierte Archivstück. „In Anbetracht dessen, dass sich unsere Völker am Rande der Hoffnungslosigkeit befinden“, heißt es darin, „haben wir beschlossen, unseren Protest zu erheben und das Volk dieses Landes auf folgende Weise wachzurütteln.“ Der Autor stellt sich als Mitglied einer Gruppe von Freiwilligen vor, die entschlossen seien, sich „für unsere Sache verbrennen zu lassen,“ und nennt zwei konkrete Forderungen: die Aufhebung der Zensur und ein Vertriebsverbot des Propagandablattes Zprávy. Unterzeichnet ist das Schreiben mit „Fackel Nr. 1“. Im Postscriptum erinnert Palach an den kollektiven Widerstand und die Solidarität unmittelbar nach dem Einmarsch und appelliert: „Denkt an den August. In der internationalen Politik ist für die ČSSR ein Freiraum entstanden – nützen wir ihn!“
Nicht an die Invasoren des Warschauer Paktes wendete sich Palach, sondern an die eigenen Landsleute. Auch wenn die Forderungen angesichts der Tat selbst fast unangemessen bescheiden erscheinen, legt sein Brief Zeugnis von großer Rationalität ab. Palach handelte nicht impulsiv, sondern plante seinen Protest genau. Erste Skizzen des Briefes, die später im Studentenwohnheim beschlagnahmt wurden, deuten darauf hin, dass er seine Strategie mehrmals überdachte. Um eine möglichst breite Wirkung zu erzielen, versandte er außerdem drei Briefe gleichen Inhalts per Post an den Tschechoslowakischen Schriftstellerverband, an den Führer der Studentenbewegung und einen guten Freund. Die Existenz einer ganzen Gruppe hinter Palach konnte jedoch nie nachgewiesen werden.
Wenngleich das Schreiben nicht offiziell publiziert wurde, kursierten in Prag Abschriften davon. Die Erschütterung war riesig. Medien rund um den Globus berichteten von der tragischen Tat, und auch die tschechoslowakische Staatsführung erkannte sie als „höchstes Opfer“ für das Vaterland an. Am Begräbnis in Prag nahmen Tausende teil. Langfristig jedoch verfehlte der politisch motivierte Suizid sein Ziel – die Reformbewegung konnte nicht wiederbelebt werden. Mit zunehmender „Normalisierung“ der Verhältnisse wurde auch die Erinnerung an Palach aus dem öffentlichen Raum verdrängt. Im Jahr 1973 ließ die Geheimpolizei den Leichnam exhumieren und einäschern. Träger des Gedenkens blieben vor allem die tschechischen Emigrant*innen in Zürich, London, München und Winnipeg (Kanada). In ihren jährlichen Erinnerungen spielten die konkreten Forderungen Palachs jedoch kaum noch eine Rolle. Vom Kämpfer für einen Sozialismus „mit menschlichem Antlitz“ wurde er mehr und mehr zum allgemeinen Märtyrer für Freiheit und Demokratie oder gar zum „Opfer der Okkupation“. Mit der Samtenen Revolution, so die Meistererzählung seit 1989, habe sich sein politisches Vermächtnis erfüllt. Gleich vier Denkmäler erinnern in Prag an Jan Palachs Schicksal. Ein weiterer Gedenkstein kam anlässlich des diesjährigen Jubiläums hinzu. Derzeit entsteht in Palachs Elternhaus im mittelböhmischen Všetaty ein Museum, das im August eröffnet werden soll. Dennoch ist sein Status als tschechischer Nationalheld nicht unumstritten: Sowohl seine Historisierung als Verfechter sozialistischer Ideen als auch die Form seines Protestes – ein Suizid – wecken bis heute Widerspruch
Lesetipps:
Petr Blazek / Patrik Eichler / Jakub Jareš (Hg.): Jan Palach, Praha 2009.
Jiří Lederer: Jan Palach. Ein biografischer Bericht, Zürich 1982.
Sabine Stach
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