Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3, Raum 0330 / Zoom
Maike Lehmann (Bremen)
Kul‘turnost‘ and Non/Belonging in the Late Soviet Union
(65% der vollen Wochenarbeitszeit, Entgeltgruppe 13 TV-L)
ab dem 01. Januar 2025 befristet für 3 Jahre. Bewerbungsfrist: 31.10.2024
Diskussion: Was ist „Osteuropa“? Geschichte und Gegenwart eines widersprüchlichen Konzepts
19 Uhr, Bibliothek der Weserburg Museum für moderne Kunst
Anastasia Tikhomirova, Hans-Christian Petersen, Artur Weigandt, Klaas Anders
Ukrainische Schriftsteller*innen in Zeiten des Krieges
18:00 Uhr, Europapunkt Bremen
Oxana Matiychuk, Susanne Schattenberg
Wissenswertes
„Mit Fantasie gegen Stasi und Nasi“
Zum 30. Jahrestag der Erstürmung der Stasi-Zentrale in Berlin am 15. Januar 1990Presseerklärung der Beauftragten der Bürgerkomitees der Bezirke, Leipzig, 4./5 Januar 1990. Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, FSO. Foto: Maria Klassen.
Am Nachmittag des 15. Januar 1990 versammelten sich unzählige Menschen vor der MfS-Zentrale in Berlin-Lichtenberg. Das „Neue Forum“ hatte unter dem Motto „Mit Fantasie gegen Stasi und Nasi“ wenige Tage zuvor zur Demonstration aufgerufen. Sie waren gekommen und hatten Backsteine mitgebracht, um die Stasi-Festung symbolisch einzumauern. Doch dann öffneten sich wie von Geisterhand die Tore und Zehntausende strömten in den Gebäudekomplex, der wie kein anderer in der DDR für politische Unterdrückung und Manipulation stand. Der Zentrale Runde Tisch unterbrach seine Verhandlungen, der amtierende Ministerpräsident Hans Modrow eilte nach Lichtenberg, um zur Gewaltlosigkeit aufzurufen. Man ließ ihn reden, man griff ihn nicht an. Die Zerstörungen hielten sich in Grenzen. Das DDR-Fernsehen unterbrach seine Sendungen und berichtete live, so dass schnell das gesamte Land von den Ereignissen erfuhr.
Die Stasi war in den vorangegangenen Monaten immer stärker ins Visier der protestierenden Öffentlichkeit geraten. Vor ihren Gebäuden fanden verbreitet Protestaktionen und Demonstrationen statt. Im November 1989 war das Ministerium für Staatssicherheit in Amt für Nationale Sicherheit (AfNS, auch Nasi) umbenannt und dem neu ernannten Ministerpräsidenten Modrow direkt unterstellt worden. Dieser setzte als Leiter den ehemaligen Mielke-Stellvertreter Wolfgang Schwanitz ein, der unter zunehmendem politischem Druck versuchte, möglichst viel von den alten Strukturen des Apparats zu erhalten. Innerhalb der Mauern des AfNS liefen die Schredder auf Hochtouren und in den Kellern qualmten die Öfen, um die Spuren jahrzehntelanger Überwachung und Repressionen zu beseitigen. Um diesem Treiben ein Ende zu bereiten, besetzten beherzte Bürgerinnen und Bürger am 4. Dezember 1989 zunächst in Rathenow die dortige Kreisdienststelle und noch am selben Vormittag die Bezirksverwaltung in Erfurt. Es folgte die Besetzung von MfS-Dienststellen in der gesamten DDR.
Bürgerkomitees entstanden, die in Zusammenarbeit mit Volkspolizei und Staatsanwaltschaft die Auflösung überwachten. Am 5. Januar kamen Vertreter dieser Komitees in Leipzig zu einem ersten Koordinierungstreffen zusammen. Auf einer Pressekonferenz erklärten sie als erstes Ergebnis ihrer Überprüfungen, dass im MfS „fortlaufend und in großem Umfang gegen Geist und Buchstaben der geltenden Verfassung verstoßen wurde“. Verantwortlich dafür sei die SED als Auftraggeber, gegen die deshalb „wegen des Verdachtes verfassungswidriger Aktivitäten“ ermittelt werden müsse. Sie forderten u.a. die vollständige Auflösung des AfNS ebenso wie die Beseitigung der alten Machtstrukturen der ehemaligen Staatspartei und wandten sich gegen die Bestrebungen der SED-PDS, neofaschistische Erscheinungen – die in jedem Fall zu verurteilen seien – als Legitimation zu nutzen, um „undemokratische Machtinstrumente zu rekonstruieren“. Ein Exemplar dieser Presseerklärung hat es in die Bestände des Archivs der Forschungsstelle Osteuropa geschafft – ein Zeugnis für eine Zeit, die Ende und Anfang zugleich war und in der ein Aufbruch möglich wurde, der noch ein Jahr zuvor völlig undenkbar schien.
Die Erstürmung der Stasi-Zentrale am 15. Januar 1990 in Berlin war das Finale einer Entwicklung, die an der Peripherie begonnen hatte. Wer den Demonstranten die Tore in Lichtenberg öffnete, bleibt umstritten. Wichtiger ist, dass die Besetzungen längerfristig eine bis dahin in der deutschen Geschichte einmalige Form der Auseinandersetzung mit diktatorischer Vergangenheit ermöglichte. Es wurde ein Gesetz geschaffen, das den Betroffenen Zugang zu ihrer Stasi-Akte ermöglicht und die juristische, politische und wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Erbes festschreibt. Für die deutsche Gesellschaft ist dies Chance und Herausforderung zugleich.
Lesetipps
Jens Gieseke: Die Stasi. 1945-1990, München 2011.
Ilko-Sascha Kowalczuk: Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR, München 2015.
Michael Richter: Die Friedliche Revolution. Aufbruch zur Demokratie in Sachsen 1989/90, Göttingen 2009.
Ann-Kathrin Reichardt
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