Bibliothek und Archiv für Nutzung geschlossen
Bewerbungsschluss 05.01.2025
20h/Monat ab 1. April 2025; Unterstützung in Forschung und Lehre
Admin, max. 18h / Woche
zum 01.01.2025
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3, Raum 0330 / Zoom
Kerstin Brückweh (Erkner)
Wohnen und Wohneigentum. Lässt sich aus der Geschichte der Transformation in Ostdeutschland lernen?
20.01.2025 Bewerbungsschluss
03.07.-05.07.2024, Dresden
Buchvorstellung
18:00 Uhr, OEG 3790
"The Making and Unmaking of the Ukrainian Working Class"
mit Dr. Denys Gorbach (Autor) und Prof. Dr. Jeremy Morris (Diskutant)
Wissenswertes
„Ich schrieb das, was ich dachte.“
Zum 130. Geburtstag des russischen Literaturnobelpreisträgers Boris PasternakSamisdat-Ausgabe von "Doktor Schiwago" in vier gebundenen Bänden. Aus dem Bestand der Familie Polivanov. Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, FSO 01-137. Foto: Maria Klassen.
„Bin am End, ein Tier im Netze.
Fern gibt’s Menschen, Freiheit, Licht.
Hinter mir der Lärm der Hetze,
Und nach draußen kann ich nicht.“
(Nachdichtung Rolf-Dietrich Keil, Berlin 1996)
Mit diesen verzweifelten Zeilen kommentierte der Dichter und Schriftsteller Boris Pasternak die Entscheidung der Schwedischen Akademie, ihm den Literaturnobelpreis 1958 zu verleihen. Während die Auflagen des „Doktor Schiwago“ in den westlichen Ländern in die Höhe schossen, kam es jenseits des Eisernen Vorhangs kulturpolitische Eklat. Den 68-Jährigen überrollte eine Lawine aus Hass und Schmähungen. Schlimmer als ein Schwein sei Pasternak, geiferte der Erste Sekretär des Komsomol Wladimir Semitschastny im Moskauer Olympiastadion 1958. Die Rede gipfelte im Vorschlag, den Verräter Pasternak des Landes zu verweisen. Pasternak versuchte vergeblich, die Pogromstimmung zu dämpfen, indem er den Nobelpreis ablehnte. Er starb 1960 öffentlich verfemt im Künstlerdorf Peredelkino an einem Herzinfarkt.
Pasternak hatte die Rolle des Provokateurs nicht gesucht. Am 10. Februar 1890 in eine jüdisch-intellektuelle Künstlerfamilie hineingeboren, liebäugelte er zunächst mit der Oktoberrevolution. Während seine Familie 1921 emigrierte, feierte er bis 1936 literarische Erfolge. Doch dann geriet er in die Kritik: Sein Stil entspräche nicht dem Sozialistischen Realismus und diene nicht der Revolution. Er überlebte die Zeit Stalins, indem er u.a. Shakespeares Dramen und Goethes Faust ins Russische übertrug.
Für die Publikation des „Doktor Schiwago“ hatte sich Pasternak, so schien es, einen guten Zeitpunkt ausgesucht. Er schloss den Roman, der sich als fulminant-düstere Deutung russisch-sowjetischer Geschichte zwischen 1902 und 1943 lesen lässt, 1956 während der Hochphase des politischen und kulturellen Tauwetters und der Entstalinisierung ab. Das Manuskript bot er der renommierten Zeitschrift Novyj Mir an, die es jedoch ablehnte. Über Umwege trat „Schiwago“ 1957, im italienischen kommunistischen Verlag Feltrinelli publiziert, den Triumphzug in der westlichen Welt an. Damit hatte Pasternak die sowjetische Zensur umgangen und im entbrannten Kalten Krieg dem Westen eine düstere Deutung der russischen Revolution und der ersten Jahrzehnte der Sowjetunion in die Hand gegeben, die sich radikal von dem, auch von Chruschtschow nicht angetasteten, siegreichen sowjetischen Gründungsmythos abhob.
Bis 1989, als „Schiwago“ erstmals offiziell in der Sowjetunion erschien und Pasternaks Sohn den Nobelpreis des Vaters schließlich entgegennahm, war der Roman sowjetischen Bürgern lediglich als Samisdat- oder Tamisdat zugänglich. Einerseits schmuggelte die CIA in großem Stile Bücher in die Sowjetunion, die das Regime untergraben sollten. Andererseits gab es Enthusiasten innerhalb der Sowjetunion, die das über 500 Seiten starke Werk abtippten und verbreiteten. Achtung und Liebe zu Pasternaks Werk drückt die, Anfang der 1960er hergestellte, edel gebundene vierbändige Samisdat-Ausgabe aus, die ihren Weg nach Bremen fand. Sie gehörte der Philologin und Übersetzerin A. Baranowitsch-Poliwanowa, die mit Pasternaks Familie freundschaftlich verbunden war. Ihr Mann, der Mathematiker und Physiker Michail K. Poliwanow war als Samisdat-Autor in Dissidenten-Kreisen bekannt. Das vorliegende Exemplar übergab die Familie mit einigen anderen Samizsdat-Raritäten dem Archiv der Forschungsstelle Osteuropa.
„Schiwagos“ glänzende Verse stehen auch heute noch gegen die Verrohung der russischen Sprache und die Glorifizierung der sowjetischen Vergangenheit, die heute wieder en vogue ist.
Lesetipps
Boris Pasternak: Doktor Schiwago, Frankfurt am Main 1991.
Familie Pasternak (Hrsg.): Boris Pasternak. A Biographical Album, Moskau 2007.
Maria Birger
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