Bibliothek und Archiv für Nutzung geschlossen
Bewerbungsschluss 05.01.2025
20h/Monat ab 1. April 2025; Unterstützung in Forschung und Lehre
Admin, max. 18h / Woche
zum 01.01.2025
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3, Raum 0330 / Zoom
Kerstin Brückweh (Erkner)
Wohnen und Wohneigentum. Lässt sich aus der Geschichte der Transformation in Ostdeutschland lernen?
20.01.2025 Bewerbungsschluss
03.07.-05.07.2024, Dresden
Buchvorstellung
18:00 Uhr, OEG 3790
"The Making and Unmaking of the Ukrainian Working Class"
mit Dr. Denys Gorbach (Autor) und Prof. Dr. Jeremy Morris (Diskutant)
Wissenswertes
Aktuelle Kunst im Irgendwo
Eine Faltkarte in der FSO, die Fragen stellt, ohne Antworten zu erwarten.
Der Fragebogen als Faltkarte, 1971. Archiv der Forschungsstelle Osteuropa. Foto: Maria Klassen.
Die Faltkarte ? ! + ... (dotazník) [Fragebogen] wurde von den slowakischen Künstlern Rudolf Sikora, Stano Filko, Július Koller und Igor Gazdík als Kollektivarbeit im Jahr 1971 verschickt. Sie zeigt die Beschäftigung mit „kosmogonischen Problemen“, wie sie in der unabhängigen Kunstszene Bratislavas verbreitet war. Auf einer blauen, mit weißen Sprenkeln überzogenen Fläche, die an das Universum erinnert, finden sich die titelgebenden Satzzeichen. Im Inneren sind in einer kreuzförmigen Ansammlung Einzelarbeiten zu sehen. Július Koller stellte einen Fragebogen zu UFOs zusammen. Gazdík gab im Bewusstsein für das kosmische Ganze an, seine eigene Welt als Teil dessen formen zu wollen, und im rechten Flügel erläuterte Filko seine Visionen für Erkundungen des Weltraums. Er begann mit dem Ereignis der jüngsten Vergangenheit, der Landung auf dem Mond im Jahr 1969, und endete im Jahr 2100, für das er sich vorstellte, dass die Menschheit auf andere Zivilisationen treffen werde. Sikoras Blatt generierte sich aus seiner Arbeit The Earth Must not become a Dead Planet, in der er die Zerstörung des Planeten durch die Einwirkungen des Menschen von Stonehenge bis zum Atompilz thematisierte. Die Künstler verorteten sich nicht in lokalen, auch nicht nur in irdischen Zusammenhängen. Neben den Verweisen auf „ihre“ Stadt Bratislava, griffen sie größere Weltzusammenhänge und bis heute virulente Probleme des Anthropozäns auf. Ihre Positionen waren international – ihr Fragebogen kosmopolitisch.
Die Karte gelangte über den Kunsthistoriker Tomáš Štraus ins Archiv der FSO. Štraus emigrierte 1980 von Bratislava in die BRD und wurde stellvertretender Leiter des Lehmbruck-Museums in Duisburg. Er betonte, dass, wenn man auf der Höhe der Zeit bleiben wollte, was die künstlerische Entwicklung Ostmitteleuropas betraf, so „darf man paradoxerweise nicht am Ort des Geschehens, sondern [muss] weit davon entfernt leben. Nicht in Moskau, Prag oder gar Preßburg, sondern z.B. in New York, Köln, Düsseldorf oder Mailand.“ Die Materialien aus dem Vorlass des Künstlers und Kunstsammlers Klaus Groh in der FSO bestätigen diese Beobachtung. Er betrieb von Oldenburg aus ein Mail-Art-Netzwerk, das über den Eisernen Vorhang hinweg funktionierte und sich aus seiner Begeisterung für die informelle, ostmitteleuropäische Kunstszene speiste. Auch Koller, Filko und Sikora gehörten zu seinen Korrespondenzpartner*innen; er publizierte ihre Arbeiten – neben vielen weiteren künstlerischen Positionen – 1972 in dem Buch Aktuelle Kunst in Osteuropa. Dieses Buch sorgte dafür, dass in Polen bekannt wurde, was nonkonforme Künstler*innen in Bratislava umtrieb und mit welchen Fragestellungen man sich jenseits des offiziellen Kunstbetriebs in Budapest beschäftigte.
Wie Štraus verließ auch einer der Künstler der Faltkarte, Stano Filko, 1981 die Slowakei. Er ging zunächst in die BRD und später nach New York. Bereits im Exil nahm er an der documenta 7 in Kassel teil. In einem Brief an Groh drückte Tomáš Štraus aus, dass Filko sich dadurch Sichtbarkeit „stellvertretend für ganz ‚Osteuropa‘“ erhoffte. Im Katalog wurde der Künstler allerdings als „Stanislaw Filko aus Duisburg, BRD“ – seinem damaligen Aufenthaltsort – vorgestellt. Groh sah daher „sicherlich kein großes Verdienst der d-Initiatoren“ angesichts Filkos Vorstellung, denn ihr Blick reichte nicht bis Bratislava. Sie platzierten ihn als rheinländischen Künstler und ignorierten den „Ort des Geschehens“ an der Donau.
Im Archiv der FSO in Bremen kann man die Arbeiten und ihre Vernetzungen erforschen. Dabei bedarf nicht jeder Fragebogen einer Antwort, aber es lohnt sich, die gestellten Fragen zu hören – und zu sehen.
Ina Mertens
Lesetipps
Klaus Groh (Hrsg.): Aktuelle Kunst in Osteuropa. ČSSR, Jugoslawien, Polen, Rumänien, UDSSR, Ungarn, Köln 1972.
Klara Kemp-Welch: Networking the Bloc. Experimental art in Eastern Europe 1965–1981, Cambridge MA 2018.
Ina Mertens ist Kunsthistorikerin und Bibliothekarin. Sie promovierte 2016 mit der Arbeit „Stadt – Land – Kosmos. Die slowakischen Neoavantgarden und ihr Verhältnis zum Außen“ an der Universität Bern. Als Hans-Koschnick-Stipendiatin sichtete sie im Frühjahr 2019 die FSO-Bestände zu ostmitteleuropäischer Kunst, unter anderem jenen von Klaus Groh, der 2004 erworben wurde.
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