Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3 0330 / Zoom
Ekaterina Gurtovaja (Palermo/Bremen)
Women’s Memoirs of the Gulag: Literary Strategies of Representing Trauma and Survival
Wissenswertes
Aus Polen gestrandet in Bremen
40 Jahre Solidarność-Büro in Bremen
Die Solidarność-Mitglieder Eva Maria Slaska, Kazimierz Kunikowski, Adam Dębowski und Marek Mikołajczuk (von links oben im Uhrzeigersinn) im Interview. Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, Foto: Elias Angele.
„Das war eine Unruhe und hast du die ganze Zeit gehört, da kommt sowieso Streik, Unruhe war sowieso innen drinnen. Da brauchst du nur [einen] kleinen Strohhalm und das brennt alles.“ So umschreibt das ehemalige Mitglied des Bremer Solidarność-Büros Marek Mikołajczuk das Zustandekommen des Streiks auf der Danziger Lenin Werft am 14. August 1980.
Die Volksrepublik Polen war in den 1980er Jahren geprägt durch hohe staatliche Verschuldung und eine schlechte Versorgungslage. Der alles entzündende „Strohhalm“ war darum eine erneute Erhöhung der Lebensmittelpreise. Adam Dębowski, ebenfalls ein ehemaliges Mitglied des Bremer Koordinationsbüros, schilderte die materielle Situation wie folgt:
„Meine erste Jeans, die ich mir gekauft habe – das war kurz vor dem Streik – die hat mehr als 4000 Złoty gekostet. Das war mehr als ein Monatsgehalt. Also Perspektiven, keine […] Wenn man sich, sagen wir, auf die Warteliste [für eine Wohnung] eingetragen hat bei den Baugesellschaften […], musste man im Schnitt 15-20 Jahre warten […]. Und wir wollten gewisse Veränderungen haben. Und aus diesem Grund […] bin ich ja auch dem Streikkomitee beigetreten.“
Die Unzufriedenheit der Arbeiterinnen und Arbeiter entlud sich im Streik auf der Danziger Lenin Werft. Der Grund dafür war die Entlassung der Kollegin und Aktivistin Anna Walentynowicz. Was als Arbeiterstreik begann, entwickelte sich aufgrund der Beteiligung unterschiedlichster Betriebe schnell zu einer Massenbewegung und die unabhängige Gewerkschaft Solidarność – „Solidarität“ – wurde gegründet. Da sie sich nicht nur für die Rechte der Arbeiter*innen einsetzte, sondern auch allgemeinere Belange der Bevölkerung ansprach, konnte die Gewerkschaft bald um die 10 Millionen Mitglieder verzeichnen.
Vor 40 Jahren, am 12. Dezember 1981, entsandte die Solidarność eine Delegation nach Bremen, um in den Austausch mit deutschen Gewerkschaften zu treten. Doch es kam anders als erwartet, denn in der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember wurde in Polen das Kriegsrecht von Ministerpräsident Wojciech Jaruzelski ausgerufen. An eine Rückkehr nach Polen war nicht mehr zu denken und die Prioritäten der Delegation änderten sich hin zur Unterstützung der polnischen Bevölkerung. Gestrandet in Bremen, von ihren Familien und der polnischen Gewerkschaft getrennt, begann für die Delegation eine Zeit der Unsicherheit, aber auch der Aktivitäten. Am 19. April 1982 gründeten sie in Bremen ein sogenanntes Koordinationsbüro und sendeten Hilfspakete mit Nahrungsmitteln, Kleidern und medizinischen Produkten, aber auch Informationsmaterial an die polnische Bevölkerung. Für manche Mitglieder wurde der unverhoffte Zwischenstopp zu einem Daueraufenthalt: Sie leben bis heute in Bremen.
In den vier Interviews schildern die Delegationsmitglieder Adam Dębowski, Kazimierz Kunikowski und Marek Mikołajczuk sowie die damals ebenfalls für die Solidarność tätige Ewa Maria Slaska ihre Erlebnisse. Die Interviews wurden im Rahmen eines Seminars am Institut für Geschichtswissenschaft an der Universität Bremen geführt und transkribiert. Sie werden im Archiv der Forschungsstelle Osteuropa aufbewahrt, wo sie für Forschungszwecke zur Verfügung stehen. In einer gekürzten Fassung werden sie auf der Seite der Bundesstiftung Aufarbeitung im Rahmen des Dossiers zur Solidarność präsentiert und sind dort abrufbar.
Die audiovisuellen Interviews zeigen auf beeindruckende Weise, wie die Menschen mit der Solidarność für ihre Rechte gekämpft haben. Marek Mikołajczuk: „Die Leute haben [durch die Gewerkschaft in Zusammenarbeit mit der Intelligenzija] diese Atmung bekommen und wissen, was […] Freiheit ist.“
Ramona Rücker, Christopher Koellner
Lesetipps
Rüdiger Ritter: Solidarität mit Schwierigkeiten. Das Bremer Koordinationsbüro der polnischen Gewerkschaft Solidarność und das Engagement Bremens für Polen in den 1980er Jahren, Bremen 2020.
Lech Walesa: Ein Weg der Hoffnung. Autobiographie. Darmstadt 1987.
Anna Walentynowicz: Solidarność - eine persönliche Geschichte, Göttingen 2012.
Ramona Rücker und Christopher Koellner studieren Geschichte an der Universität Bremen.
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