Film und Gespräch: Heller Weg
19:00 Uhr, Kulturwerkstatt Westend
Mit Regisseurin Iryna Riabenka, moderiert von Oksana Chorna
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3, Raum 0330 / Zoom
Natalia Fedorenko (Bremen)
Coming of Age in the Urals in the Early 1960s: Ideals and Perspektives of the Middle Class. The Story of Anna Tarshis
Wissenswertes
Krieg in der Ukraine
Spendenaufruf zur Finanzierung von Hans Koschnick Sonderstipendien für geflüchtete Wissenschaftler*innen
Der abgebildete Helm wurde unserem Archivgeber Robert van Voren auf dem Majdan geschenkt. Archiv der Forschungstelle Osteuropa, Foto: Maria Klassen.
Der Ostpolitik von Willy Brandt zu Beginn der 1970er Jahre verdanke ich, ein Kind eines deutschen Vaters aus der mennonitischen Siedlung New-York, Gebiet Donezk, und einer westukrainischen Mutter aus Lviv/Lemberg, das unfassbare Glück, dass ich im Jahre 1976 als Deutschstämmige die damalige Sowjetunion verlassen durfte und in der Bundesrepublik Deutschland eingebürgert wurde.
Dass sich meine Eltern nicht in der Ukraine, sondern im nördlichen Jakutien in der sogenannten „ewigen Verbannung“ als sogenannte „Volksfeinde“, in Wirklichkeit als Zwangsarbeiter, kennengelernt haben, war die Folge des Zweiten Weltkriegs, der aufs Konto der größenwahnsinnigen und geistesumnachteten Diktatoren Hitler und Stalin gehen. Timothy Snyders „Bloodlands“ ist bis dato die wichtigste Lektüre dazu.
Als neuer Bundesbürgerin wollten mir meine Verwandten einen historischen Ort mit Spuren der russischen Kultur zeigen, Bad Ems. Eine kleine wunderschöne Kurstadt an der Lahn, geprägt von mit Gedenktafeln versehenen Hotels, in denen Klassiker der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts sowie Zar Alexander II. samt Familie weilten. Im historischen Rathaus „Haus der Vier Türme“ unterschrieb im Mai 1876 dieser Zar den Emser Erlass (auch Ukas von Bad Ems genannt), in dem die ukrainische Sprache im russischen Reich verboten wurde. Genau 100 Jahre später haben die Exil-Ukrainer an diesem Rathaus eine Gedenktafel angebracht, als Beweis dafür, dass die Ukrainer und die ukrainische Sprache nach wie vor lebendig sind.
Die Leugnung der Ukrainer als Volk und ihrer Sprache hat eine lange Geschichte. In dem Vorwort zur Tamizdat-Ausgabe „Angst, ich bin dich losgeworden. Ukrainische Gedichte in der Verbannung“ schrieb der in Kiew geborene und 1981 aus der Sowjetunion ausgebürgerte Schriftsteller und Germanist Lew Kopelew: „Die Ukrainer hatten es schwerer, weil ihre Heimat bereits seit dem Mittelalter immer wieder von eroberungswütigen Nachbarn und Eindringlingen in Stücke zerrissen wurde. (…) Vereint wurden sie aber durch die Sprache und noch mehr durch die Literatur, die Poesie.“ Und ich würde ergänzen, auch durch die Musik.
Als 1991 das Sowjetimperium auseinanderbrach und die unabhängige Ukraine zum ersten Mal in den gegebenen Grenzen ihre Staatlichkeit erhielt, war der Wille, nach jahrhundertlanger Zwangsrussifizierung endlich die ukrainische Sprache als Staatssprache zu manifestieren, verständlich stark. Der Großnachbar Russland hat den Ukrainern das gleich als Nationalismus ausgelegt; dieses Narrativ wurde im Westen ziemlich unkritisch übernommen. Und bis vor kurzem mussten sich die Ukrainer immer wieder rechtfertigen, dass sie keine Nationalisten sind und wirklich keine Probleme haben, sich mit beiden Sprachen zu einer neuen, europäischen und vor allem demokratischen Gesellschaft zu entwickeln.
Deswegen kam es im Jahr 2004 zu der „Orangenen Revolution“, bei der sich Menschenmassen auf dem Majdan versammelten, um den offensichtlichen Betrug bei den Präsidentschaftswahlen anzuprangern. Dabei ging es nicht nur um die Einforderung des Einhaltens demokratischer Regeln, sondern auch um die politische Ausrichtung eines Staates: prowestlich, europäisch oder prorussisch. Doch der Sieg des ersten Majdans, der das Aufkommen der Zivilgesellschaft beförderte, konnte 2010 den nächsten, von Putins Russland stark beeinflussten Wahlen nicht standhalten. Das Pendel schlug zurück: die wirtschaftliche Entwicklung kam schleppend voran, marode Infrastruktur und die rücksichtslose Selbstbereicherung der Oligarchen sowie eine fehlende engere Einbindung in die globale Wirtschaft hatten nicht die von vielen erhoffte Verbesserung der Lebensverhältnisse gebracht.
Das Angebot eines Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union konnte nur die richtige Antwort auf die Erwartungen in der Ukraine sein. Doch als der prorussische Präsident Janukowitsch 2013 die Assoziierung im letzten Moment ausschlug, versammelten sich wieder die Menschen auf dem Majdan, der fast genau ein Jahrzehnt nach der Orangenen Revolution zum „Euromajdan“ wurde. Dieser Majdan zeigte eine starke und entschlossene Zivilgesellschaft, die auf Gewalt mit Gegengewalt reagierte und ausharrte. Die Standardschutzhelme auf dem Bau wurden zu einem überlebenswichtigen Utensil, die Farbe Orange erinnerte symbolisch an den ersten Majdan. Auf dem Platz, auf dem die Protestierenden Zelte und Barrikaden errichteten, saßen mittendrin junge Künstler, bemalten die Helme mit Ornamenten verschiedener ukrainischer Regionen und verteilten sie zum Schutz unter den Menschen.
Den Euromajdan hat die ukrainische Zivilgesellschaft gewonnen, jedoch zu einem schmerzlich hohen Preis: über hundert tote Demonstranten, der von Putin beförderte Krieg in der Ost-Ukraine und die Annexion der Krim 2014.
In den 30 Jahren ihrer Unabhängigkeit, davon acht Jahre unter besonders erschwerten politischen und wirtschaftlichen Bedingungen, schafften es die Ukrainer, sechs Präsidenten zu wählen, sich für die Welt und vor allem Europa menschlich zu öffnen. In jedem westeuropäischen Land leben junge Ukrainer, die studieren, arbeiten und längst ein Teil der intereuropäischen Community sind.
Gestern, dem EU-Parlament per Video zugeschaltet, sagte der siebente Präsident Wolodymyr Selenskij hoffentlich nicht in seiner letzten Rede: „Wir haben unsere Stärke bewiesen, wir haben bewiesen, dass wir mindestens so wie ihr sind…“
Die Ukraine befindet sich seit sieben Tagen in Putins Krieg – einem erbarmungslosen, vernichtenden Krieg eines größenwahnsinnigen Psychopaten und Autokraten gegen die Ukraine als Staat und gegen die Ukrainer als Nation.
Maria Klassen
Lesetipps:
- Timothy Snyder: Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin, München 2011.
Maria Klassen ist Archivarin der Abteilung Sowjetunion und Nachfolgestaaten im Archiv der FSO
AKTUELLER SPENDENAUFRUF
Im Zuge des Angriffs Russlands auf die Ukraine und der laufenden Kriegshandlungen wurde im März 2022 ein Sonderstipendienprogramm eingerichtet. Es konnten 20 Stipendiat*innen an der FSO aufgenommen werden.
Fernsehbeitrag zum Hans Koschnick Stipendienprogram bei NANO
Wir suchen derzeit dringend nach weiteren Fördermittelgebern und Spendern, um den Aufenthalt der Stipendiat*innen verlängern zu können.
Wir bitten Sie daher weiterhin um Ihre Mithilfe und Spenden, um die Geflüchteten in Bremen längerfristig betreuen zu können:
Spenden können Sie an den Förderverein der Forschungsstelle Osteuropa
IBAN: DE12 8306 5408 0004 8513 82
BIC: GENODEF1SLR, Deutsche Skatbank
Verwendungszweck: „geflüchtete WissenschaftlerInnen“
Wir stellen Ihnen gerne eine Spendenbescheinigung aus. Bitte schreiben Sie hierzu eine kurze Email mit Namen und Adresse an: fsov@uni-bremen.de. Vielen Dank!
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