Bibliothek und Archiv für Nutzung geschlossen
Bewerbungsschluss 05.01.2025
20h/Monat ab 1. April 2025; Unterstützung in Forschung und Lehre
Admin, max. 18h / Woche
zum 01.01.2025
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3, Raum 0330 / Zoom
Kerstin Brückweh (Erkner)
Wohnen und Wohneigentum. Lässt sich aus der Geschichte der Transformation in Ostdeutschland lernen?
20.01.2025 Bewerbungsschluss
03.07.-05.07.2024, Dresden
Buchvorstellung
18:00 Uhr, OEG 3790
"The Making and Unmaking of the Ukrainian Working Class"
mit Dr. Denys Gorbach (Autor) und Prof. Dr. Jeremy Morris (Diskutant)
Wissenswertes
Orwells „1984“ und der „stille Protest“ in Russland
Zur Aktualität von George Orwells Roman „1984“
Samisdat-Ausgabe von George Orwells Roman „1984“ von M. Petrow. Archiv Forschungsstelle Osteuropa. Foto: Maria Klassen.
Das in den ersten Tagen des Kalten Krieges erschienene Buch „1984“ von George Orwell wurde nicht nur schnell zu einem Bestseller, sondern galt als „Bibel" des Antikommunismus. Es wurde auf allen Kontinenten, in 60 Sprachen und in Millionen von Exemplaren verkauft. In der UdSSR konnte der Roman erstmals während der Perestroika veröffentlicht werden; allerdings kursierten seit den 1960er Jahren russische Übersetzungen des Buches im „Samisdat“. Diese Ausgabe, die das Archivale des Monats darstellt, stammt von M. Petrow.
Die Relevanz des Buchs zeigte sich nicht zuletzt auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, als die ukrainische First Lady Olena Selenska die Situation in Russland mit der Gesellschaft des dystopischen Romans verglich. Im April dieses Jahres verhafteten die Behörden in der russischen Stadt Iwanowo den Aktivisten Dmitri Silin, weil er den Roman kostenlos an die Einwohner*innen verteilt hatte. Ihm wurde nichts Geringeres als die "Diskreditierung der russischen Armee" vorgeworfen.
Hier kommt die Frage auf, wie ein in den 1940er Jahren geschriebener Roman die russische Armee von heute diskreditieren kann? Das Gesetz über die "Diskreditierung der russischen Armee" Nr. 32-FZ vom 4. März 2022 wurde erlassen, um jegliche Antikriegsrede oder -handlung zu kriminalisieren. Dies hatte zur Folge, dass unabhängiger Journalismus in Russland faktisch unmöglich wurde. Alle unabhängigen Medien mussten entweder schließen oder ihre Redaktionen ins Ausland verlegen.
Orwells Buch ist zu einem Symbol der Meinungsfreiheit und der Antikriegsproteste geworden. So findet man das Buch in Cafés und Geschäften an der Kasse oder im Schaufenster, wo es „ausgesetzt“ wird. Wie die Initiator*innen dieses "versteckten Protests" der Forscherin Alexandra Archipowa mitteilten, ist Orwells Roman ein Erkennungszeichen für den Widerstand gegen den Krieg geworden.
Dass Orwells Buch zum Symbol des "stillen Protests" der gegenwärtigen russischen Gesellschaft gegen den Krieg in der Ukraine wurde, und nicht sein russischsprachiges Pendant, Jewgeni Samjatins Roman "Wir", liegt nicht daran, dass der Roman eine totalitäre Gesellschaft beschreibt, denn das tut Samjatin ebenso. Vielmehr begann Orwell seinen Roman während des Zweiten Weltkriegs und stellte sich eine Gesellschaft vor, die aus dem Sieg des Nationalsozialismus hervorgehen würde. Er beendete das Buch 1948 und stellte die Zahlen einfach auf 1984 um.
Ähnlich wie im Buch die Losung „Krieg ist Frieden“ den Krieg rechtfertigt und die gesellschaftliche Einheit durch den Zusammenhalt gegen einen äußeren Feind beschworen werden soll, versucht der russische Staat die Deutung der Vergangenheit zu kontrollieren und den Krieg gegen die Ukraine zu legitimieren. Schon 2015 wurde das Gesetz Nr. 354.1 „Rehabilitierung des Nationalsozialismus“ im russischen Strafgesetzbuch eingeführt. Darunter fällt auch die Verleumdung der Rolle der UdSSR im Zweiten Weltkrieg und eine "falsche" Darstellung der Siege der Roten Armee sowie die öffentliche Schändung von Symbolen des militärischen Ruhms Russlands.
Angesichts all dieser Gesetze ist es im heutigen Russland äußerst schwierig, sich gegen den Krieg auszusprechen. Deswegen macht sich die russische Gesellschaft solche allegorischen Praktiken zunutze und stellt den Roman „1984“ ins Schaufenster, was im heutigen Russland sogar ein Verbrechen darstellt.
Lesetipps:
Russia. Crimes against History, hg. v. International Federation for Human Rights, in: FDIH Report Nr. 770a (2021), russie-_pad-uk-web.pdf [09.11.2022].
Gabowitsch, Mischa: Von „Faschisten“ und „Nazis“. Russlands Geschichtspolitik und der Angriff auf die Ukraine, in: Blätter für deutsche und internationale Politik Nr. 5 (2022), S. 55-62.
Dubowy, Aleksander: Das Strafvollzugssystem der Russischen Föderation. Bestrafung statt Resozialisierung?, in: Russland-Analysen Nr. 401 (19.04.2021), https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/401/strafvollzugssystem-der-russischen-foederation-bestrafung-statt-resozialisierung/ [07.11.2022].
Vera Dubina ist Historikerin und Gastwissenschaftlerin an der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen. Sie nahm an mehreren internationalen Projekten zu Erinnerungskultur teil und war Stipendiatin der Alexander von Humboldt Stiftung, der Bundestiftung Aufarbeitung der SED Diktatur und der Gerda-Henkel Stiftung.
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