CfA: „Challenges of Data Collection, Re-use, and Analysis: Public Opinion, Political Debates, and Protests in the Context of the Russo-Ukrainian War"
The Research Centre for East European Studies (FSO), Bremen, 25-27.08.2025
Buchvorstellung/Gespräch
19:00 Uhr, Theater Bremen, Foyer Großes Haus
"White But Not Quite": Gibt es antiosteuropäischen Rassismus?
mit Autor Ivan Kalmar
Einführung: Klaas Anders, Moderation: Anke Hilbrenner
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3 0330 / Zoom
Muriel Nägler
Einführung für Studierende
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3 0330 / Zoom
Agata Zysiak (Vienna/Lodz)
The Socialist Citizenship. Social Rights and Class in Postwar Poland
Buchvorstellung und Gespräch
18:00 Uhr, Europapunkt
Ein Russland nach Putin?
mit Jens Siegert und Susanne Schattenberg
CfP: Coming to the Surface or Going Underground? Art Practices, Actors, and Lifestyles in the Soviet Union of the 1950s-1970s
The Research Centre for East European Studies (FSO), Bremen, November 13-14, 2025
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3 0330 / Zoom
Hera Shokohi (Bonn)
Genozid und Totalitarismus. Die Sprache der Erinnerung an die Opfer des Stalinismus in der Ukraine und Kasachstan
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3 0330 / Zoom
Sheila Fitzpatrick (Melbourne)
Lost Souls. Soviet Displaced Persons and the Birth of the Cold War
Wissenswertes
Das Aus der Moskauer Helsinki-Gruppe und Sacharows Vermächtnis in Gefahr
Ljudmila Alexejewa mit Yvonne Pörzgen in Bremen im Jahr 2011 im EuropaPunkt. Archiv der Forschungsstelle Osteuropa.
Ende Januar 2023 hat der russische Staat zwei weitere große und bedeutende Menschenrechtsorganisationen in Russland ins Aus befördert: Am 24. Januar erhielt das Sacharow-Zentrum in Moskau einen Gerichtsbescheid, der ihm seine Räumlichkeiten nimmt; am 25. Januar schloss ein weiteres Moskauer Gericht die Moskauer Helsinki-Gruppe. Formal warf das Gericht der Helsinki-Gruppe vor, nur in Moskau registriert, aber im ganzen Lande tätig zu sein. Tatsächlich geht es hier wie im Fall des Sacharow Zentrums darum, die nach der Schließung von Memorial allerletzten verbliebenen Menschenrechtsorganisationen mundtot zu machen, die sowohl ihre Stimme gegen den Krieg erhoben haben, als auch weiter auf aktuelle Menschenrechtsverletzungen hinweisen. Das Sacharow-Zentrum wird zwar noch nicht juristisch abgewickelt, aber der Entzug der Immobilien wird zumindest eine örtliche, temporäre Schließung zur Folge haben. Formal hieß es, dass der Staat Organisationen, die er als „ausländischer Agent“ gebrandmarkt hat, keine Unterstützung zukommen lassen dürfe, und daher Immobilien entzogen werden müssten, die der Stadt Moskau gehören. Nach der Bestätigung der Zwangsschließung von Memorial International vor einem Jahr ist dies die traurige Fortführung eines radikalen Kahlschlags russischer zivilgesellschaftlicher Einrichtungen. Wie mit Memorial verbindet die Forschungsstelle Osteuropa eine langjährige, freundschaftliche Zusammenarbeit; von beiden Organisationen und ihren Repräsentant*innen haben wir zahlreiche Dokumente und Zeugnisse in unserem Archiv.
Die Moskauer Helsinki-Gruppe wurde lange vor Memorial bereits 1976, allerdings fast von denselben Persönlichkeiten, gegründet und war ein kleines Wunder: Nachdem 35 Staatschef 1975 in Helsinki die Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE, heute OSZE) unterzeichnet hatten, hielten sie den seit Beginn der 1970er Jahren vorangetriebenen Prozess der Annäherung von Ost und West für tot und fuhren desillusioniert nach Hause. Sie hatten nicht geahnt, welch eine Wirkung „Korb 3“, die Vereinbarungen über die Wahrung der Menschenrechte, den freien Fluss von Informationen und die Reisefreiheit, auf die Menschen jenseits des „Eisernen Vorhangs“ haben würde. Da sich die Staats- und Parteiführungen im Ostblock dazu verpflichtet hatten, diese Rechte abzudrucken, lasen es die Menschen mit großer Verwunderung, dann Begeisterung, die schließlich in Entschlossenheit umschlug, diese Rechte von ihren Regierungen einzufordern. So gründeten Menschenrechtsaktivist*innen in Moskau 1976 die erste Helsinki-Gruppe, der bald weitere im ganzen Land folgten. Eins der Gründungsmitglieder war Ljudmila Alexejewa (1927-2018), die bereits ein Jahr später unter Androhung von Haft ins Ausland gezwungen wurde. Dort, in den USA, schrieb sie das Standardwerk über die sowjetische Dissidentenszene: Soviet dissent, das 1985 erstmals erschien. 1993 kehrte sie nach Moskau zurück und setzte ihre Arbeit in der Helsinki-Gruppe bis zu ihrem Tod 2018 fort. Mehrfach besuchte sie Bremen, um hier von ihrer Arbeit zu berichten. Gern lud sie zu sich nach Hause ein. Dann saß man in ihrem Wohnzimmer auf dem Arbat, das über und über mit den blau-weißen Gschel-Fayenzen vollgestellt war, wurde von ihr mit Delikatessen aus dem benachbarten Laden verköstigt und konnte ihren so unaufgeregten, nüchtern-entlarvenden Analysen der Menschenrechtslage früher und heute zuhören.
Andrej Sacharow (2.v.l. sitzend) bei einer Schulung von Menschenrechtsaktivisten für Gleichgesinnte, 1970er Jahre. Archiv der Forschungsstelle Osteuropa.
Das Sacharow-Zentrum gründete sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, um das Erbe des Friedensnobelpreisträgers Andrej Sacharow (1921-1989) zu pflegen: einerseits durch die Bewahrung der Erinnerung an ihn, andererseits durch politische Aufklärungs- und Menschenrechtsarbeit. Das Zentrum bekam nicht nur ein Gebäude, um Ausstellungen und Veranstaltungen durchzuführen; die Organisation erhielt auch die Wohnung, in der Sacharow gelebt hatte, sich mit Aktivist*innen und westlichen Journalist*innen getroffen hatte und in der sich bis heute sein komplettes Archiv befindet. Es ist eine besondere Dramatik, dass dieses Archiv mit allen Schriften von Sacharow, über ihn inclusive seiner KGB-Akte nun in kürzester Zeit ein neues Domizil finden muss. Ich selbst habe dort gearbeitet und zu Sacharow recherchiert, mir von den freundlichen, sehr engagierten Mitarbeiterinnen seine Dokumente vorlegen lassen; mittags aßen wir zusammen in der Küche, wo einst Sacharow und seine Frau Jelena Bonner mit Gleichgesinnten zusammensaßen. Es ist unfassbar, aber vermutlich gewollt, dass mit der „Kündigung“ nicht nur das Sacharow-Zentrum vor dem Nichts steht, sondern auch sein Archiv und Vermächtnis ihren angestammten Ort verlieren. Zu Sacharows 100. Geburtstag 2021 übernahmen wir eine Ausstellung des Sacharow-Zentrums, die wir mit Studierenden ins Deutsche übersetzten, überarbeiteten, um sie auf dem Campus der Universität zu zeigen. Schon damals konnte diese Ausstellung nicht in Moskau auf einem öffentlichen Platz gezeigt werden, angeblich weil die Stelen bereits vergeben waren. Dass der russische Staat soweit gehen würde, Sacharows Archiv vor die Tür zu setzen und ihn damit aus dem kollektiven Gedächtnis zu streichen, hätte vor zwei Jahren dennoch wohl niemand für möglich gehalten.
Susanne Schattenberg
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