Film und Gespräch: Heller Weg
19:00 Uhr, Kulturwerkstatt Westend
Mit Regisseurin Iryna Riabenka, moderiert von Oksana Chorna
Kolloquiumsvortrag
18:15 Uhr, IW3, Raum 0330 / Zoom
Natalia Fedorenko (Bremen)
Coming of Age in the Urals in the Early 1960s: Ideals and Perspektives of the Middle Class. The Story of Anna Tarshis
Wissenswertes
Natalja Gorbanewskaja
Forschungsprojekt von Prof. Dr. Susanne Schattenberg
Natalja Gorbanewskaja war eine Dichterin so groß wie Joseph Brodsky und eine Menschenrechtsaktivistin so bedeutend und unerschrocken wie Andrej Sacharow. Dennoch hat sie weder den Literatur- noch den Friedensnobelpreis erhalten und ist zumindest in der westlichen Welt weitestgehend unbekannt. Dabei war sie maßgeblich für zwei zentrale Entwicklungen bzw. Ereignisse in der sowjetischen Dissidentenszene: 1968 gründete sie nahezu im Alleingang die Untergrund-Zeitung „Chronik der laufenden Ereignisse“, die fortan über politische Prozesse und Gefangene in der UdSSR berichtete. Die Zeitung konnte im Unterschied zu den meisten inoffiziellen Medien, die der KGB sofort zerschlug, bis 1983 in 63 Nummern erscheinen und gilt heute als Beginn der russischen Pressefreiheit. Die ersten zehn Nummern verantwortete Gorbanewskaja allein; dann wurde sie verhaftet. Ebenfalls 1968 war sie eine von acht Personen, die am 25. August auf dem Roten Platz gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Truppen des Warschauer Pakts protestierte. Dies war ein einzigartiges Ereignis, denn nie zuvor und nie wieder danach trauten sich Andersdenkende in der UdSSR, in der Öffentlichkeit mit Transparenten ihren Protest kundzutun.
Gorbanewskajas Geschichte ist auch deshalb besonders, weil sie nicht wie die anderen zu Gefängnis, Lagerhaft und Verbannung verurteilt, sondern in ein psychiatrisches Gefängnis eingewiesen wurde, wo man sie neun Monate lang zwangsweise mit Psychopharmaka behandelte. Da sie zur Demonstration mit ihrem drei Monate alten Sohn erschienen war, hatte das Gericht sie für verrückt erklärt. Nach ihrer vorzeitigen Entlassung 1972, die auf Druck aus dem In- und Ausland zustande kam, realisierte sie angesichts der Verhaftung von Alexander Solschenizyn, bei der sie zugegen war, dass sie das Land verlassen musste, wollte sie nicht ein nächstes Mal und dann für immer in der Psychiatrie verschwinden. Ab 1976 lebte sie mit ihren beiden Söhnen, die sie allein erzog, in Paris, wo sie weiter Gedichte schrieb und für mehrere zentrale Emigranten-Organe wie Kontinent, Pamjat‘ und Russkaja Mysl‘ schließlich auch als stellvertretende Chefredakteurin arbeitete, Texte der Solidarnosc aus dem Polnischen übersetzte und für die polnische Emigrantenpresse schrieb. 2005 nahm sie die polnische Staatsbürgerschaft an, wo sie genauso wie in Tschechien verehrt wurde. Im August 2013 kehrte sie 45 Jahre nach ihrem ersten Protest zu einer Gedenkdemonstration auf den Roten Platz zurück, um sich erneut für Freiheit und Demokratie in Russland einzusetzen. Diesmal verhaftete die Polizei nicht sie, aber ihre Mitdemonstranten. Im November 2013 starb sie unerwartet im Alter von 77 Jahren in Paris. Zu ihrer Beisetzung auf dem Friedhof Père Lachaise entsandten Polen und Tschechien ihre Botschafter, Russland nicht.
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